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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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rollte ein Auto an und kam Lunau entgegen. Es waren nur noch wenige Meter bis zur Abfahrt, aber das Auto blieb auf der verkehrten Fahrbahn, wollte Lunau offensichtlich nicht in die Quere kommen und schnitt ihm gerade dadurch den Weg Richtung Sandgrube ab. Lunau musste nach links ausweichen, doch nun orientierte das Auto sich ebenfalls in die Fahrbahnmitte. Was für ein Idiot, dachte Lunau. Entweder hatte der Fahrer ihn nicht gesehen, oder er war erstaunlich rücksichtslos. Das Auto – für Autos hatte Lunau sich nie besonders interessiert, jedenfalls nicht für die, die er sich hätte leisten können, aber er meinte einen blauen Punto zu erkennen – war jetzt fast auf seiner Höhe und zog plötzlich noch weiter nach links. Es fuhr Zickzacklinien und steuerte dann genau auf Lunau zu! Lunau warf sich nach rechts und wäre fast hingeschlagen. Er schaffte es, rechtzeitig einen Fuß vom Pedal zu nehmen und, während seine Hände die Bremsen zogen, den Aufprall abzufangen. »Arschloch«, schrie er. Er war mit dem Knöchel umgeknickt, sein Herz raste, und vor Wut machte er eine obszöne Geste. Er drehte sich um, tastete nach seinem Korg, der glücklicherweise nicht aus der Brusttasche gerutscht war, und sah, dass die Bremsleuchten des Autos glühten. Offensichtlich hatte der Fahrer ihn doch noch wahrgenommen und wollte sich entschuldigen. In Lunau rangen Wut und Nachsicht miteinander. Sein Fahrradlicht funktionierte. Der Mann musste ihn gesehen haben. Wahrscheinlich hatte er an seinem Handy oder seinem iPod herumgefummelt, statt auf die Fahrbahn zu achten. Oder er hatte eine Frau im Auto. An der Deichstraße standen, in gewissen Abständen, Fahrzeuge, in deren Fahrgastzellenkein Licht brannte, aber trotzdem Leben war. Aber warum hatte er sich dann so dicht an die Sandgrube gestellt? Die taghell erleuchtet war? Oder hatte er jemanden abgeholt? Lunau saß wieder im Sattel und fuhr langsam auf das Auto zu, bereit, eine Entschuldigung anzunehmen. Tatsächlich legte der Fahrer den Gang ein und wendete. Aber die Lenkbewegungen waren eckig, immer wieder schlingerte der Wagen, bis er Kurs hielt und Lunau langsam entgegenkam. Lunau wollte schon winken, als der Motor aufheulte. Der Wagen beschleunigte, das Getriebe sprang vom ersten in den zweiten Gang, kurz sank die Drehzahl des Wagens, um dann gleich wieder so anzuziehen, dass man meinte, die Kolben müssten durch die Motorhaube kommen. Der Wagen hielt genau auf Lunau zu. Dessen Gehirn stellte auf Autopilot um. Über den Kühler flirrten die Lichtreflexe der Flutlichtmasten, es fehlten nur noch zehn Meter. Lunau wollte davonsprinten, aber er hatte einen zu hohen Gang eingelegt, zum Schalten blieb keine Zeit. Er ging aus dem Sattel, stemmte sein ganzes Gewicht ins rechte Pedal. Das Fahrrad nahm widerwillig Fahrt auf, Lunau schlug einen Haken nach rechts, dann nach links. Lunau meinte, einen Kopf hinter der finsteren Windschutzscheibe zu erkennen. Er hatte zwei komplette Pedaldrehungen geschafft, seine Oberschenkel brannten, Lunau musste stehen bleiben, den Körperschwerpunkt hochhalten, dann würde die Stoßstange nur das Rad und seine Unterschenkel treffen. Er musste versuchen, abzuspringen, sich über die Kühlerhaube oder das Autodach abzurollen.
    Lunau spürte nichts mehr, keine Eile, keine Angst. Die Szene lief ohne sein Zutun ab, wie ein Film ohne Tonspur. Wie damals auf der Schotterpiste im Hochland, wo der Soldat an dem Kontrollpunkt ihre Presseausweise gesehen hatte und plötzlich zu schreien anfing : »Deutsche Welle! Deutsche Welle!« – »Nein, wir sind nicht von der Deutschen Welle!«, rief Lunau immerwieder. Er wusste, wie verhasst die Deutsche Welle bei den Unabhängigkeitskämpfern war, aber Lunau war mit Kurt genau deshalb auf eigene Faust in das Grenzgebiet gereist: Um sich selbst ein Bild zu machen. Er versuchte das zu erklären und nannte seinen Sender. Den der Kämpfer noch nie gehört hatte. Als gleichzeitig mehrere Eritreer auf den Geländewagen losgingen und versuchten, Kurt, Lunaus Kameramann, aus dem Wagen zu zerren, gab Lunau Gas. Kurt hatte die Tür wieder zugeschlagen, und sie hatten dreihundert Meter hinter sich gebracht, als Lunau eine Art Stromschlag in seinem rechten Oberarm spürte. Der Arm wurde heiß und dann eiskalt, während das Blut aus dem Hemdärmel rann. Lunau schrie Kurt an, aber Kurt antwortete nicht. Sein Mundwinkel war zur Seite gerutscht, als wollte er eine seiner ironischen Bemerkungen machen. Erst nachdem Lunau noch einige

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