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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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die Uhr. Noch zehn Minuten. Sie lief hinauf in Vitos Arbeitszimmer, riss die Schubladen auf. Sicher gab es einen Ersatzschlüssel. Sie kramte hektisch in alten Briefen, Büroklammern, Gummis und Münzen fremder Währungen. Nach fünf Minuten hatte sie den Schlüssel. Sie rannte die Treppe hinunter und schob ihn ins Schloss. Er passte. Sie wollte ihn umdrehen, hetzte aber zuerst in die Küche, stellte die Gasflamme unter dem Sugo ab und rührte die Nudeln im sprudelnden Wasser noch einmal um. Dann ging sie ins Wohnzimmer und schaltete den Kindern den Fernseher an.
    »Aber wir dürfen doch sonst nie vor dem Essen fernsehen!«, sagte Mirko.
    »Ist doch egal. Ich will SpongeBob sehen«, sagte Sara und nahm die Fernbedienung.
    »Jetzt kommt Dragonballz«, schrie Mirko.
    »Nein, ich will SpongeBob sehen.«
    Silvia verwünschte sich. Warum hatte sie sie nicht einfach weiterspielen lassen? Sie ging in den Flur, führte den Schlüssel ein und drehte ihn. Mit einem trockenen Klacken sprang ein Schloss auf. Dann auch das andere. Der Inhalt des Koffers war ihr vertraut. Ein paar Kladden, ein Terminkalender, Stifte und ein Durcheinander aus Visitenkarten. Außerdem ein Briefumschlag, der so dick gefüllt war, dass die dreieckige Lasche sich nicht hatte schließen lassen. Aus dem Spalt leuchtete das giftige Grün einer Hunderteuronote. Ein ganzes Bündel. Und unter den Kladden waren noch mehr von diesen Umschlägen. Insgesamt acht, allesamt gefüllt mit Hunderteuronoten. Silvia erstarrte, nahm einen Schein heraus, prüfte das Wasserzeichen. Echt. Seit Jahren drehten sie jeden Cent zwei Mal um, sie wussten nicht, wie sie die Raten für das Häuschen bezahlen sollten, konnten sich kein zweites Auto leisten, Sara musste auf einen Platz in der billigsten Musikschule warten …
    Sie hörte den Schlüssel an der Haustür, klappte den Koffer zu und versuchte, ihn wieder abzuschließen. Ihre Hand zitterte so stark, dass sie das Schloss nicht traf. Die Tür ging auf. Vito stand vor ihr. Schaute sie an, eher verwundert als empört. Diese gespielte Unschuld brachte sie dermaßen auf, dass sie an den Rändern ihres Gesichtsfeldes nur Schwarz sah. Im Bruchteil einer Sekunde wurde ihr klar, wie perfekt er seine Rolle als fürsorglicher Ehemann und Vater immer gespielt hatte, mit welcher Kaltblütigkeit er sie all die Jahre hintergangen hatte. Er war einer dieser vollendeten Betrüger, die deshalb so überzeugend sind, weil sie eins geworden sind mit ihrer Rolle. Und dann die Kontrolle verlieren.
    Sie richtete sich auf, während aus dem Wohnzimmer die hysterischen Stimmen und die überdrehte Musik einer Zeichentrickserie hallten. Vito runzelte die Stirn.
    »Seit wann sitzen die Kinder um diese Uhrzeit vor dem Fernseher?«
    Silvia traute ihren Ohren nicht und fragte:
    »Für wie bescheuert hältst du mich eigentlich?«
13
    Lunau genoss die kühle Abendluft, die stumpfsinnige Kreisbewegung seiner Beine und das sanfte Schnurren der Reifen auf dem Asphalt. Er saß auf einem Fahrrad, das Di Natale ihm geliehen hatte, und er fuhr zu einem Termin, den Di Natale ihm vermittelte hatte. Mit Andrea Zappaterra: »Vito hat mir erzählt, Sie suchen Einblicke in die Flusslandschaft. Kommen Sie in meinen Betrieb. Sie werden staunen.«
    Inzwischen war es fast dunkel. Vom Fluss zog kühler Dunst durch die Pappelpflanzungen, kroch in Schwaden an den Deichflanken hoch, das Wasser floss lautlos, irgendwo hinter dem Dickicht und den hohen Wipfeln der Pappeln. Der Dynamo sang, in der Ferne fingerten die Scheinwerfer eines Autos an den letzten violetten Schraffierungen im Himmel. In Lunaus Rücken lag die Eisenbahnbrücke, an der er am Nachmittag die merkwürdigen Töne aufgezeichnet hatte. Aber jetzt hörte man nur das unvermeidliche Rauschen von Autoreifen in der Ferne und die ersten Grillen des Jahres. Außerdem ein tiefes Brummen, wie von riesigen Motoren. Es wurde immer stärker und ließ Lunaus Bauchdecke vibrieren. »Ungefähr siebenhundert Meter nach Francolino, flussabwärts«, hatte Zappaterra gesagt. »Ist nicht zu verfehlen.«
    Tatsächlich tauchten nach einer Biegung des Deiches zur Rechten Flutlichtmasten auf. Sie beleuchteten eine eingezäunte Mondlandschaft aus Seen, Sandbergen, Förderbändern, Speichersilosund Bürobaracken. Auf den Wassertümpeln trieben flache Kähne.
    Vom Deich ging eine Schotterpiste ab und führte hinunter zum Haupttor der Sandgrubenanlage. Da kratzte ein Anlasser, ein Motor startete, Scheinwerfer leuchteten auf. Am Straßenrand

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