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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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Ein Kollege vom WDR, der eine Filmdokumentation über die WasserstraßenEuropas gedreht hatte, hatte Lunau an Di Natale verwiesen. Eine »wandelnde Enzyklopädie zum Fluss« hatte er ihn genannt, einen »jugendlichen Liebhaber«.
    Es wäre ein absurder Zufall, wenn genau dieser Mann auch mit dem anderen Fall in Verbindung stünde. Also doch eine Halluzination?
    »Wem haben Sie von unserem Termin erzählt?«, fragte Lunau.
    »Ich verstehe nicht recht.«
    »Wer konnte wissen, dass ich um diese Uhrzeit bei Ihnen auftauchen würde?«
    Zappaterra überlegte einen Moment. »Jetzt nehmen Sie Vernunft an. Wer sollte Sie denn umbringen wollen? Ich denke, Sie sind nur hinter Vogelstimmen her.«
    »Was ist mit Ihren Mitarbeitern? Ihrer Familie?«
    »Ich will Ihnen mal zugute halten, dass Sie noch unter Schock stehen.«
    Lunau legte auf. Er öffnete das File aus dem Gerichtssaal und hörte sich an, was vor Ort an ihm vorbeigerauscht war. Marcos Freunde hatten immer wieder Parolen gegen die Polizei skandiert und ihrer Wut mit Zwischenrufen Luft gemacht. Der Richter hatte eine bewundernswerte Geduld bewiesen und erst gegen Ende mit der Räumung des Saales gedroht. Doch dazu war es gar nicht gekommen. Die Vertagung hatte dem Spuk ein Ende bereitet.
    Lunau öffnete die Aufnahme mit den merkwürdigen Klingeltönen und legte verschiedene Filter darüber. Er rief den Equalizer auf, dämpfte die tiefen Frequenzen und das Hintergrundrauschen, die Töne wurden ein bisschen lauter, fügten sich zu betörenden Drei- und Vierklängen, blieben aber trotzdem rätselhaft. Lunau zog sich aus, legte sich ins Bett und löschte das Licht. Aber sofort schoben die wenigen Geräusche in dem Raum, das Knacken des Lattenrostes, das Rütteln der Minibar und das Geknatter vonScootern sich zu einer bedrohlichen Wolke zusammen. Er spürte, dass sich ein neuer Anfall anbahnte. Er musste wach bleiben.
    Di Natales Haus lag in Dunkelheit, die Läden waren geschlossen. In der Einfahrt stand ein weißer Fiat Panda, an der Wand lehnten zwei Kinderfahrräder, deren Rahmen im Licht der Straßenlaternen einen tristen Orangeton angenommen hatten.
    Das Törchen zur Straße war nicht abgeschlossen. Lunau sah sich um, öffnete es und ging über den knirschenden Kiesweg zur Haustür. Aus einer Ritze am Fensterladen der Küche drang ein schwacher Lichtschein. Es war kurz nach zwölf, zu spät zum Klingeln. Lunau klopfte vorsichtig an die Tür. Er hatte den Eindruck, dass jemand dahinter stand. Er wählte den Festnetzanschluss und legte das Ohr an die Tür. Man hörte gedämpft das Klingeln durch das Holz. Silvia Di Natale ging dran, legte aber, als sie Lunaus Stimme hörte, sofort wieder auf. Lunau war der Meinung, dass er zumindest eine Erklärung verdient hatte. Auch wenn Zappaterra meinte, er habe sich die Attacke auf dem Deich nur eingebildet. Das Pochen in seinem Knöchel war nicht wegzudiskutieren.
    »Frau Di Natale«, rief Lunau mit halblauter Stimme, und dazu schlug er sanft mit der flachen Hand ans Türblatt. Keine Reaktion. Er ließ seinen Blick über die Fassade gleiten. Kein Laden bewegte sich.
    Lunau wollte auf die Rückseite des Hauses gelangen, doch die Fischerhäuser bildeten eine durchgehende Front. Lunau ging die Straße hinab, durch die der modrige Geruch des Po di Volano zog. Nach hundertfünfzig Metern erreichte er einen Durchlass, einen Weg , der zu einer Fußgängerbrücke führte. Er kletterte über ein Metallgeländer und ließ sich hinab auf die glitschige Uferböschung. Sein Knöchel jaulte. Lunau arbeitete sich humpelnd durch wildes Schilf und Müll, bis er an einen verrosteten Maschendrahtzaunkam. Dahinter lag ein Garten. Am Ufer war ein Zaunpfosten locker, er hing schräg im Schlamm, der Zaun ließ sich einfach niederdrücken. Lunau lauschte einen Moment. Der Fluss rauschte leise, der Wind fuhr durch das Schilfgras. Lunau durchquerte gebückt den Garten. Und kam an einen Stahlzaun, der mit einem Fächer langer Spitzen über dem Fluss endete. Lunau griff in den Zaun, verhakte die Füße zwischen den Spitzen, ließ den schweren Umhängekoffer auf seinen Rücken gleiten und hangelte sich herum.
    Plötzlich hörte er Keuchen, es knackte im Röhricht, eine breite Schnauze mit wabbelnden Lefzen schob sich auf Lunau zu. Lunaus Herz raste. Das Gebell hallte über den Fluss. So laut, dass Lunau einen Moment lang gar nichts hörte. Er stieß einen beschwichtigenden Zischlaut aus. Hunde waren Lunau immer unheimlich gewesen, obwohl er wusste, wie man

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