Acqua Mortale
Aktuell beschäftigte er 41 Mitarbeiter, die, je nach Auftragslage, in zwei bis drei Schichten arbeiteten. Dem Unternehmen gehörten ein Schwimmbagger und diverse Pumpen, die den Sand vom Grund der Tümpel saugten. Vom Po angeschwemmter Sand sei besonders wertvoll, weil er einen hohen Quarzgehalt habe, die Körner sehr fein und rund geschliffen seien, während der industriell gefertigte Sand aus zerstoßenem Gestein gewonnen werde, das viel scharfkantiger und gröber sei.
»Für feinkörnigen Verputz, hochwertiges Glas oder Kosmetika können Sie nur unseren Sand verwenden«, sagte Zappaterra mit kindlichem Stolz. »Nur als Streusand taugt er nicht.«
Im Jahr gewann die Grube etwa zwanzigtausend Tonnen Sand. Umsatz und Gewinn erwähnte Zappaterra nicht. Aber seine Lederjacke, die Uhr und der nagelneue Geländewagen ließen vermuten, dass er sich kaum etwas versagen musste.
Das alles war ganz interessant, für jemanden, der ein Haus verputzen wollte. Brauchbar waren womöglich die Geräusche des Schwimmbaggers, der Saugmotoren und des Nebelhorns.
16
In der Notaufnahme des Krankenhauses mussten sie über eine Stunde warten. Zappaterra schaute hin und wieder auf die Uhr, harrte aber mit stoischer Ruhe aus. Das Blut in Lunaus Wunde pochte heiß.
»Ich komme alleine klar«, sagte Lunau.
»Ich bleibe bei Ihnen. Sie kennen unsere Krankenhäuser nicht.« Das stimmte zwar nicht, aber Zappaterra war nicht umzustimmen. Lunau wurde von einem blutjungen Arzt untersucht, der die Nikotinausdünstungen seiner Haut mit einem schweren Parfüm zu überdecken suchte. Er mochte dreißig sein, hatte aber schon graues Haar und Krähenfüße. Er nahm sich viel Zeit, tastete Lunau behutsam ab, fragte ihn nach seinem Lebensstil, bedenklichen Blutwerten und röntgte Kopf und Gliedmaßen. Um die Frage der Krankenversicherung machte er sich dagegen keine Sorgen. Er betrachtete die Röntgenbilder, und da kein Verdacht auf eine Gehirnerschütterung vorlag, entließ er Lunau auf dessen ausdrücklichen Wunsch hin.
Zappaterra brachte Lunau zum Hotel. Nachdem er das Rad ausgeladen hatte, fragte er: »Soll ich mit hoch kommen?«
»Nicht nötig. Es sei denn, Sie haben Lust, noch ein bisschen zu plaudern.«
»Warum nicht«, sagte Zappaterra nach einem Blick auf die Uhr. »Es ist noch nicht einmal halb elf.«
»Haben Sie keine Familie?«
»Doch. Aber um die Uhrzeit schlafen alle.«
Lunau schloss das Rad an ein Verkehrsschild vor dem Hoteleingang.
»Ich habe einen Freund bei der Kriminalpolizei. Zu dem sollten Sie morgen gehen. Das heißt, ich könnte ihn gleich einmal anrufen.«
Zappaterra wählte eine Nummer mit seinem Handy, nach ein paar Sekunden fing er zu reden an und schilderte kurz den Vorfall. Er nickte. Die Italiener überraschten Lunau immer wieder mit ihrer spontanen Hilfsbereitschaft. Selbst ein Mann wie Zappaterra, dessen Geländewagen und die im Fitnessstudio geformte Figur einen etwas gefühllosen, zum egoistischen Hedonismus neigenden Macho erwarten ließen.
Als sie das Foyer betraten, fragte Zappaterra: »Und sonst haben Sie keine Hinweise bemerkt? Wissen Sie, blaue Puntos gibt es in Italien wie Sand am Meer.«
Lunau nickte.
»Wie sah der Fahrer aus?«
Lunau zögerte. Der Portier schaute Lunau, dessen nackter verpflasterter Unterschenkel aus einem abgeschnittenen Hosenbein ragte, etwas verwundert an und gab ihm den Schlüssel.
»Soll ich etwas für Sie aufs Zimmer bringen lassen?«, fragte Lunau Zappaterra.
Der schüttelte den Kopf. »Und? Wie sah er aus? Ein Mann? Eine Frau? Alt oder jung?«
Lunau beschloss, seine Beobachtung preiszugeben. Er achtete genau auf Zappaterras Mimik. »Ich kann es mir nicht erklären. Aber für einen Moment meinte ich, ich hätte Di Natale erkannt.«
Zappaterra blieb stehen. Er war fassungslos. Dann fing er sich und lachte: »Sie meinen Vito?«
Lunau nickte. Der Knöchel schmerzte bei jeder Treppenstufe. Wenn er weiter anschwoll und am nächsten Morgen das Pflaster am geronnenen Blut klebte, würde es kein angenehmes Erwachen geben.
»Völlig ausgeschlossen«, sagte der Italiener.
»Wieso?«
»Ich kenne Vito. Sie müssen sich irren.«
»Dachte ich anfangs auch, aber je nüchterner ich die Bilder in meinem Kopf sehe, desto sicherer bin ich.«
Zappaterra schaute noch einmal auf die Uhr. »Vito hat doch keinen Grund, Sie zu attackieren. Und was soll er um die Uhrzeit auf dem Deich verloren haben?«
»Das wüsste ich auch gerne.«
»Vielleicht sollten Sie sich jetzt besser ausruhen.
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