Acqua Mortale
ihrer Gegner habhaft zu werden, ohne einmal zwischen die hohen Pfosten des Tores zu treffen.
Balboni stellte sich einen dieser Paradiesvögel in Schreckfarben vor. Irgendetwas verriet sie immer. Selbst wenn sie sich die Beine rasiert und den Bauch abtrainiert hatten, dann war da noch eine Satteltasche, eine Trinkflasche oder eine Pulsuhr zu viel am Karbonlenker. Den eigentlichen Grund, warum er Deutsche mochte, gestand Balboni sich aber selbst nicht ein: Sie hatten England bombardiert. Doch als die Tür aufging und dieser schlanke, mittelgroße blonde Mann, leicht hinkend und mit einer Schramme an der Stirn, auf der Türschwelle erschien, war Balboni verunsichert. Woher kannte er dieses Gesicht? Er versuchte, sich die Schürfwunde und die Schwellung wegzudenken … Genau. Im Gerichtssaal. Er war dieser deutsche Journalist, von dem alle redeten. Angeblich ein Wadenbeißer.
Michele Balboni begrüßte Lunau zuvorkommend, ließ ihn auf dem Besuchersessel Platz nehmen und hörte sich geduldig dessen Erzählung an. Normalerweise wusste er nach wenigen Minuten, ob eine Anzeige ein Hirngespinst oder Ernst war. In diesem Fall war er ratlos. Michele Balboni gab das Protokoll direkt in seinen Computer ein und löste den Druckbefehl aus. Mit sanftem Summen nahm ein Laserdrucker seine Arbeit auf.
»Ich will ganz offen sein«, sagte der Kommissar. »Wir werden keine flächendeckenden Ermittlungen durchführen können. Dazu sind die Konsequenzen des Vorfalls nicht gravierend, Ihre Hinweise nicht konkret genug. Wenn ich Sie recht verstanden habe, gab es nicht einmal eine Kollision …«
Lunau wollte protestieren, aber Balboni hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen.
»Es gab eine Kollision …«
»Niemand stellt in Abrede, dass der Versuch zur Ins-Werk-Setzungeiner schweren Straftat unternommen wurde, das Problem ist nur, dass ein blauer Punto, an dem eindeutige Unfallspuren fehlen, und dessen Kennzeichen uns nicht bekannt ist, schlichtweg nicht ermittelbar ist.«
Lunau hatte nicht erwähnt, dass er Di Natales Gesicht erkannt hatte. Mit Di Natale konnte er selber reden.
Balboni stand auf, gab Lunau eine weiche Hand und eine Kopie des Protokolls. »Damit und mit Ihrer Krankenakte können Sie zu Ihrer Versicherung gehen, falls Sie eine haben. Ich werde nachher an den Unfallort fahren und dort etwaige Spuren sicherstellen. Wollen Sie mich begleiten?«
Balboni musste wirklich eng mit Zappaterra befreundet sein, wenn er sich selbst die Mühe machte. In Süditalien hatte Lunau ganz andere Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Dort wurde jeder Zivilist, der ein Kommissariat betrat, als Nervtöter angesehen, jeder Journalist als Staatsfeind.
»Ich habe einen Termin, würde aber vielleicht später dazustoßen.«
»Ich kann mich nach Ihnen richten«, sagte Balboni und gab Lunau eine Visitenkarte, auf die er seine Handynummer notierte.
Es war halb zehn, als Lunau wieder auf der mit runden Flusskieseln gepflasterten Gasse stand. Am Palazzo dei Diamanti drängten sich Touristen, die eine Ausstellung über moderne Kunst sehen wollten. Am Ende der Straße zeichnete sich das Kastell im Dunst ab.
19
Um kurz vor zehn klopfte Lunau gegen die Scheibe des Minicoopers, dann öffnete er die Tür. Amanda war außer sich, aber Lunau hatte weder Lust noch Energie für einen Streit. Kaumhatte er sich gesetzt, spürte er nur noch eine unendliche Müdigkeit.
»Ich versuche seit einer Stunde, dich auf dem Handy zu erreichen«, fing Amanda an.
»Entschuldigung, das hatte ich abgestellt. Etwas Dringendes?«
»Ich habe keine Lust mehr. Du holst mich mitten in der Nacht aus dem Bett …«
»Es war sechs Uhr morgens.«
»Wie auch immer. Wenn wir zusammenarbeiten wollen, okay, aber deinen Handlanger spiele ich nicht.«
Lunau hatte die Nacht durchgearbeitet. Er hatte bis zwei Uhr das Haus observiert, ohne Ergebnis. Dann hatte er seinen Korg auf dem Fenstersims der Küche platziert und war ins Hotelzimmer zurückgekehrt, um im Internet die Einträge zu Di Natale zu durchforsten. Er hatte Zeitungsartikel gefunden, Kongressberichte von Flussregulierungsbehörden, außerdem Ranglisten vom Tennisverein. Pirri und Di Natale spielten tatsächlich regelmäßig gegeneinander, und sie schienen etwa gleich stark zu sein.
»Was hast du beobachtet?«
Amanda holte ihr Notizbuch vom Armaturenbrett und schlug es auf. »Um sieben Uhr wurden die Fensterläden geöffnet, um fünf nach sieben ging in der Küche das Licht an. Um 8.12 Uhr ist Silvia mit den Kindern
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