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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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Sande verlaufen. Wissen Sie, wie oft in der Woche Autos und Fahrradfahrer aneinander geraten? Ferrara gilt zwar als Fahrradstadt, aber den Autofahrern ist das egal. Allerdings, wenn der Fahrer ermittelt wird, dann winkt Ihnen ein saftiges Schmerzensgeld. Ich habe einen Anwalt an der Hand, der ist auf so etwas spezialisiert. Schmerzensgeld, Behandlungskosten, Verdienstausfall, Reha-Maßnahmen. Wenn Sie dann noch mit ein paar Attesten nachweisen, dass Ihnen ein kleiner Schaden zurückgeblieben ist, ein Trauma oder chronische Schmerzen in einem Gelenk, da kommt schon eine kleine Leibrente zusammen.«
    »Ich will keinen Lottogewinn, ich will nur, dass der Kerl bestraft wird.«
    »Wir desinfizieren jetzt grob die Wunde, dann gehen wir ins Krankenhaus. Da soll man Sie röntgen und auf innere Verletzungen untersuchen. Einen Helm hatten Sie nicht auf ?«
    Lunau schüttelte den Kopf.
    Zappaterra ging über den erleuchteten Platz, Lunau folgte. Von einem Betonkai aus winkte er einem Mann auf einem großen Kahn.
    »Ein Schwimmbagger. Das ist unser Kronjuwel. Zwanzigtausend PS Leistung. Der kostet so viel wie eine kleine Reihenhaussiedlung«, schrie Zappaterra und ließ seine Goldzähne blitzen.
    Träge wie ein Wal drehte der Kahn sich im Wasser und nahm Fahrt auf. Er steuerte auf die Mole zu, eine niedrige Bugwelle vor sich herschiebend. Lunau stieg mit Zappaterra an Bord. Auf der Brücke roch es nach Schmieröl und fauligem Fisch. Auf dem Armaturenbrett war eine Unzahl an Signallämpchen, Druck-, Leistungs-, und Ölanzeigen zu sehen. Seit der Pumpmotor abgestellt war und nur noch der Dieselantrieb lief, konnte man sich fast normal unterhalten.
    »Hast du etwas auf der Deichstraße bemerkt? Einen Wagen? Es hat einen Unfall gegeben.«
    Der Arbeiter starrte Lunau an. Er war Ende fünfzig, groß und hager, mit Bratpfannenhänden. Er schüttelte seinen kahlen Kopf.
    »Ruf mal die anderen zusammen.«
    Der Arbeiter zog an einem Strick, ein Nebelhorn heulte vier Mal auf.
    »Wir brauchen deinen Verbandskasten.«
    Der Mann im Overall öffnete einen Hängeschrank an der Rückwand der Brücke. Darauf war ein grünes Kreuz, dem der obere Balken fehlte. Der Verbandskasten sah entsprechend aus. Das Leukoplast war eingetrocknet, die Mullbinden vergilbt. Das Desinfektionsmittel seit zwei Jahren abgelaufen.
    Auf der Mole hatten sich drei Arbeiter versammelt. Ein schmächtiger Mann um die sechzig, mit Schnauzbart, stellte sichals Mario vor. Daneben waren zwei junge Hünen, in deren Overalls dicke Muskeln und jeweils ein Bierbauch steckten. Sie hatten ölverschmierte Gesichter und ähnelten einander wie Brüder. Zappaterra fragte sie ebenfalls, ob sie etwas bemerkt hätten. Nein, wie hätte man in den Gruben, im grellen Licht der Flutlichtmasten und dem infernalischen Dröhnen der Saugmotoren etwas mitbekommen sollen?
    »Hatte jemand vor wenigen Minuten Schichtende und wurde abgeholt?«, fragte Lunau.
    Den Arbeitern schmeckte nicht, was in dieser Frage mitschwang. Der Kleine, wohl der Vorarbeiter, schüttelte den Kopf. »Die Spätschicht endet um achtzehn Uhr. Seitdem sind nur wir vier noch in der Grube. Und der Chef.«
    Lunau bedankte sich und ging. Zappaterra lud das Fahrrad in seinen Geländewagen.
    »Tut mir leid, dass ich Sie aufhalte«, sagte dieser, obwohl er bei allem den Eindruck hatte, Zappaterra halte ihn auf. Er ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen und lachte kurz auf.
    »Ich hatte mir den Abend sowieso für Sie frei gehalten. Ehrlich gesagt, hatte ich noch nicht so genau verstanden, was Sie eigentlich suchen. Menschenschicksale? Einblicke in unsere Arbeit? Oder geht es Ihnen um ökologische Aspekte?«
    »Wenn man eine gute Geschichte erzählt, ergibt sich der Rest von selbst.«
    »Und die gute Geschichte wollen Sie von mir hören?«
    »Wenn Sie eine auf Lager haben.«
    Zappaterra lachte wieder. »Wie sieht’s mit meiner Gewinnbeteiligung aus? Ich bin Geschäftsmann, wissen Sie.«
    Lunau schaute aus dem Seitenfenster. Die schmalen Stämme der Pappeln flogen vorbei, eine fette Nutria verschwand vom Straßenrand im hohen Gras, grün irisierten die Augen eines Fuchses. Im Wagen roch es nach neuem Plastik und Leder. DerDieselmotor brummte sanft, obwohl auch Zappaterra fast hundert fuhr.
    Zappaterra erzählte die Geschichte seiner Sandgrube. Der Betrieb »Cave Zappaterra« war seit 1921 in Familienbesitz, gegründet von Andreas Großvater väterlicherseits, der den Sand noch mit Schaufel und Eimer aus dem Flussbett geholt hatte.

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