Acqua Mortale
aus dem Haus gekommen. Sie sind ins Auto gestiegen und weggefahren.«
Lunau nickte. »Super.«
»Ja, super. Wahnsinnig spannend.«
»Hast du Vito gesehen?«
»Ach ja, das hatte ich vergessen.«
»Wann?«
Lunau betrachtete ihr ungeschminktes Gesicht, in dem man immer noch zwei Schlaffalten erahnen konnte. Ein Lastzug rolltehinter ihrem Rücken vorbei, ein Kanaldeckel knallte unter dem Druck der Tonnenlast, und Amanda zuckte zusammen. Dann schüttelte sie den Kopf. »Meinst du, das hätte ich dir nicht als Erstes gesagt?«
Lunau öffnete die Wagentür, stieg aus und schmiss sie wieder zu. Er schaute sich in der Via Fabbri um. Reger Autoverkehr, zwei Mütter mit Kinderwagen, in der Nähe der Fußgängerbrücke leerte ein Müllauto den Altglascontainer. Das Klirren, Scheppern und Zerplatzen der Flaschen dröhnte in Lunaus Schädel, trotz der enormen Entfernung, wie in einem großen Resonanzkasten. Je größer sein Schlafdefizit, desto größer wurde dieser Resonanzkasten. Am Haus der Di Natales rührte sich nichts. Lunau öffnete die Pforte und vermisste seinen Digitalrekorder. Silvia musste ihn von der Küche aus entdeckt haben. Er fuhr mit dem Fuß durch das hohe Gras an der Hauswand. Vier Jahre hatte er mit diesem Gerät gearbeitet. Selbst im Schlaf und im Vollrausch konnte er blind die Knöpfe und Schieberegler bedienen. Da sah er das Glitzern. Das Gerät schien heil, auf dem Display zuckten die Balken des Aufnahmepegels, die Zeitanzeige lief. Silvia musste den Rekorder, ohne ihn zu bemerken, mit dem Fliegengitter vom Sims gewischt haben.
Er kehrte ins Auto zurück, stoppte die Aufnahme und kontrollierte das File. Das Gerät hatte seit zwei Uhr durchgehend aufgezeichnet.
»Ich habe mir hier umsonst den Arsch platt gesessen?«, rief Amanda.
»Nein. Du siehst mit deinen Augen mehr, als das Gerät festhalten konnte. Wie hat Silvia Di Natale auf dich gewirkt?«
»Ziemlich fahrig.«
Lunau dachte nach. Aber das klappte nicht, wenn Amanda neben ihm saß, wie ein offenes Rasiermesser. »Alles, was ich über Di Natale herausgefunden habe, passt zu dem offiziellen Bild.Brillanter Student, vorbildlicher Familienvater, pflichtbewusster Ingenieur. Das Einzige, was nicht passt, ist die Tatsache, dass er nicht Chef seiner Behörde geworden ist.«
»Warum sollte das nicht passen? Ein brillanter Geist ist in Italien bei der Karriere eher hinderlich.«
»Das gilt nicht nur in Italien.«
»Aber hier besonders.«
»Ich bräuchte eine detaillierte Biographie von Di Natale, Andrea Zappaterra und Beppe Pirri.«
»Wer sind Zappaterra und Pirri?«
»Zappaterra gehört eine Sandgrube, Pirri ist der Chef des Deichbauamtes.«
»Und weiter?
»Zappaterra ist ein Bekannter, Pirri Di Natales bester Freund, Tennispartner, wahrscheinlich der Letzte, der ihn gesehen hat.«
»Außer dir.«
»Ja, außer mir.«
So hatte Lunau das noch gar nicht betrachtet.
»Könntest du im Tennisklub herausfinden, ob sie gestern gespielt haben? Und ihre Lebensläufe und ihren Leumund recherchieren? Das Internet habe ich bereits abgegrast. Du müsstest tiefer einsteigen. Über das hiesige Zeitungsarchiv, Befragung von Angehörigen und Bekannten.«
»Du meinst: meinen Vater?«
»Dein Vater ist mit ihnen befreundet?«
»Das würde ich nicht sagen. Aber fast alle Honoratioren Ferraras lassen von ihm die Steuererklärung machen.«
»Steuerberater sind verschwiegener als Beichtpfarrer. Aber sicher gibt es irgendwelche Gerüchte, Klatsch, Gemeinheiten.«
Amanda starrte geradeaus.
»Was hast du?«, fragte Lunau, obwohl er die Antwort kannte.
»Was machst du in der Zwischenzeit?«
»Ich schaue mich an Di Natales Arbeitsplatz um und versuche, Pirri zu erreichen.«
»Ich dachte, wir recherchieren zu Marcos Tod.«
»Womöglich ist das dasselbe.«
»Verstehe ich nicht.«
»Ich komme nach Ferrara, um zu Marcos Tod zu recherchieren, und schon am ersten Tag wird ein Anschlag auf mich verübt. Ich nehme an, das war eine Warnung.«
»Von Di Natale?«
Amanda runzelte die Stirn. »Marco kannte Di Natale nicht.«
»Sagtest du nicht, jeder in Ferrara, der unter Dreißig ist, kennt ihn?«
20
Dany legte den Hörer auf. Das Blut pochte in ihren Schläfen, und sie hatte das Bedürfnis, diesen Augenblick zu feiern. Sie würde sich einen Snack gönnen. Sie holte die Birne aus ihrer Tasche, die als Mittagessen gedacht war, schnitt sie mit ihrem Taschenmesser in kleine Scheiben und legte sich eine nach der anderen auf die Lippen, kostete die Süße mit der
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