Acqua Mortale
hatte, wusste sie nicht, was dieser Wille wollte.
»Sie kennen Herrn Di Natale doch ausgesprochen gut, Sie wissen sicher fast alles über ihn.«
»Wie meinen Sie das?«
Lunau wies mit dem Kopf Richtung Schublade, in der Dany das Foto hatte verschwinden lassen, und sie spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg. Dagegen war leider kein Kraut gewachsen, und wenn sie die Hände vor die Augen schlug, wurde alles noch schlimmer.
»Sie verstehen das ganz falsch«, sagte sie.
»Wie sollte ich es denn verstehen?«
»Es ist nicht das, was Sie meinen, das schwöre ich Ihnen.«
»Erklären Sie es mir.«
»Das geht leider nicht, aber ich garantiere Ihnen, dass sich die Sache nicht so verhält, wie sie jetzt auf Sie wirkt.«
»Wo ist Herr Di Natale?«
»Ich kann Ihnen nicht helfen.«
»Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
»Gestern.«
»Wann genau?«
»Wird das ein Verhör?«
Dany bereute ihren unwirschen Ton sofort. »Um halb eins«, schob sie nach.
»Und dann ist er gegangen?«
»Nein, ich bin gegangen, ich arbeite hier nur halbtags.«
»Hat er heute einen Termin außer Haus?«
Sie zuckte mit den Schultern und spürte, wie ihr Schlüsselbein unter dem Kleid hervorrutschte. Wieder schaute er auf die Tätowierung und auf den mageren Knochen.
»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete sie.
Der Mann schien ungeduldig zu werden. »Wer ist der Chef dieser Behörde?«
»Wieso?« Wieder änderte sich ihre Gesichtsfarbe, und wieder konnte sie es nicht verhindern. »Sie wollen sich doch nicht beschweren über mich, oder? Wissen Sie, ich habe hier nur einen Zeitvertrag, und …«
Lunau schaute sie fast mitleidig an. »Wenn Sie mir sagen, wo Di Natale ist, brauche ich Ihren Chef nicht.«
»Ich weiß es wirklich nicht.«
»Sollte Vito sich melden, dann sagen Sie mir Bescheid.«
Lunau nahm einen Zettel vom Notizblock und schrieb eine Handynummer darauf. Dann gab er ihr die Hand. Er hielt sie einen Moment lang fest und sah ihr in die Augen. »Ich wollte nicht grob sein, Verzeihung.«
Sie nickte, und er ging mit einem knappen Gruß. Sie sah die Locken, die über seinen kräftigen Nacken fielen.
Alberto Gasparotto saß an seinem Schreibtisch und hörte, wie draußen jemand seine Sekretärin belästigte. Er stand auf, schloss die Tür und setzte sich wieder an den Computer. Er war nervös. Er sah auf die Homepage der Partei, der er beigetreten war, aber das schale Gefühl, das er gestern bei der Versammlung gehabt hatte, war geblieben. Trotz der erhebenden Aufmärsche aus Scharengrüner Fahnen, grüner Hemden und schmissiger Hymnen. Sicher, Gasparotto mochte klare Aussagen, und der Abgeordnete aus Rom hatte nicht um den heißen Brei herumgeredet: Es galt, den Vormarsch des Islam und fremder Kulturen zu stoppen, die Geburtenrate der Italiener zu steigern. Sozialwohnungen und andere Infrastrukturen sollten zuerst Italienern dienen – und dann den Fremden. Aber Gasparotto wurde den Verdacht nicht los, dass die Parteispitzen (und auch die Basis) zu den Fremden nach wie vor auch Süditaliener rechneten, terroni , wie sie abfällig genannt wurden. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen hatte die Lega Nord ihren separatistischen Impuls bewahrt. Und Gasparotto wollte eine große starke Nation, keine »Unabhängige Republik Padanien«. Und dann erinnerten die Thesen ihn auf schmerzliche Weise daran, dass er kinderlos war.
Plötzlich ging die Tür auf, und ein Mann trat ein. »Guten Tag, mein Name ist Kaspar Lunau.«
Gasparotto reckte das Kinn nach oben und schloss die Seite auf dem Rechner. Der Gast hatte die Frechheit, vorher noch einen Blick darauf zu werfen.
»Ich wüsste nicht, dass wir einen Termin hätten«, sagte Gasparotto kalt.
»Ich weiß, ich habe gegen das Protokoll verstoßen, aber ich war mit Herrn Di Natale verabredet, und dieser ist seit Stunden unauffindbar.«
Der Besucher schaute sich schnell in dem großzügigen Büro um. Die Panoramascheibe ging auf den Viale Cavour , einen breiten Boulevard, über den der Verkehr in vier Spuren rollte. Die Wände waren mit schweren Bücherregalen bedeckt, in denen kostbare Bände standen.
»Herr Di Natale ist einer unserer Mitarbeiter. Wieso kommen Sie damit zu mir? Entschuldigen Sie mich bitte, ich habe zu tun.«
Lunau stand unschlüssig da. Sein Blick war durchdringendund machte deutlich, dass er sich um Gasparottos Rang keinen Deut scherte.
Gasparotto winkte mit den Fingerspitzen Richtung Tür.
»Di Natale ist Ihr wichtigster Ingenieur. Und er
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