Acqua Mortale
Richtung Friedhof rollte.
30
Die Identität der drei angeklagten Polizisten war geheim. In den Zeitungsartikeln standen nur erfundene Initialen, die Pressestelle der Polizia di Stato gab keinerlei Auskünfte, und der Polizeichef stand für Interviews nicht zur Verfügung. Er habe auch sämtlichen Beamten untersagt, mit der Presse zu sprechen, sagte er Lunau, nachdem dieser elf Mal in seinem Vorzimmer angeklingelt, Presseausweis und eine »Projektbeschreibung« seiner Reportage gefaxt hatte. Die drei Beamten waren Brigadiere Stefano Catozzo, 31, aus Jolanda di Savoia, Brigadiere Sandro Massari, 35, aus Comacchio, und Vicebrigadiere Antonino Pulla, 26, aus Porto Empedocle. Die beiden ersten stammten aus der Provinz Ferrara, Porto Empedocle dagegen lag auf Sizilien, in der Provinz Agrigent.
Massari und Catozzo bildeten ein festes Team, sie waren seit sechs Jahren gemeinsam auf Streife. Pulla dagegen war erst vorvier Jahren nach Ferrara versetzt worden, wenige Monate vor dem Tod des Schülers Marco. Warum auch er in jener Nacht am Tatort war, ging aus den Berichten und Akten nicht hervor.
»Verzichten Sie einen Moment auf die Fakten. Ich will wissen, wie Sie persönlich sich den Ablauf des Geschehens vorstellen.«
Dottor Carlo Palombo schaute Lunau aus winzigen grauen Augen an. Alles an ihm war grau. Der zerknitterte Anzug, die dichten, nach hinten gekämmten Haare, die Gesichtshaut. Nur die Fingerspitzen und die Nägel waren gelb. Seine Nikotinsucht hatte in 22 Jahren Berufsleben die Wände gesättigt und die Blutgefäße in seiner Körperperipherie (und in der seiner Sekretärin) komprimiert. Seine Kanzlei lag in der Borgo dei Leoni , wenige Meter vom Gerichtsgebäude entfernt. Unten auf der Straße kreischte eine Moped-Bremse, der dichte Verkehr vom Corso Giovecca kam als monotoner Brei durch das dünne Fensterglas.
»Das läuft doch nicht, oder?«, fragte Palombo.
Er zeigte auf das Aufnahmegerät, das Lunau auf den Schreibtisch gelegt hatte.
»Ich lasse es nur für persönliche Zwecke laufen. Damit ich bestimmte Details überprüfen kann.«
Carlo Palombo war ausgesprochen zugänglich gewesen. Er war gleich ans Telefon gekommen und hatte Lunau sofort empfangen. Aber jetzt schüttelte er den Kopf.
»Wenn wir ganz ungezwungen reden sollen, dann machen Sie es besser aus.«
Lunau gehorchte, und Palombo setzte neu an: »Ich hatte schon viel früher mit Ihrem Besuch gerechnet.«
»Die Sache mit Di Natale hat mich ein wenig Zeit gekostet.«
»Natürlich.« Der Anwalt schüttelte den Kopf, ehe er weitersprach: »Wir können später gerne auch ein Interview aufzeichnen, aber wenn Sie eine subjektive Version hören wollen, muss die unter uns bleiben.«
»Natürlich.«
Palombo drückte die filterlose Zigarette aus und steckte sich eine neue an. Er sog hektisch drei Mal hintereinander, nahm dann einen tiefen Zug, legte den Kopf nach hinten, schloss einen Moment die Augen und sagte: »Catozzo und Massari halten Marco an. Ein junger Bursche, lange Haare, lässige Kleidung, für die Polizisten der typische linke Kiffer. Sie kontrollieren ihn, schikanieren ihn ein bisschen. Da sie keine Drogen bei ihm finden, sind sie enttäuscht und fangen an, ihn zu provozieren. Marco war kein Duckmäuser, vermutlich hat er sich gewehrt.«
»Verbal oder körperlich?«
»Verbal. Er konnte mit Worten umgehen.«
»Ich kenne seine Songs.«
»Daraus werden die Polizisten irgendein Vergehen konstruiert haben. Beamtenbeleidigung, Staatshetze oder so. Sie wollen ihn festnehmen und zur weiteren Befragung auf die Wache bringen, Marco fühlt sich ungerecht behandelt und wehrt sich.«
»Diesmal körperlich?«
»Versucht, sich loszureißen. Es kommt zum Gerangel. Marco war fast neunzig Kilo schwer. Für die Beamten ein willkommener Vorwand, um die Schlagstöcke zu ziehen. Von da an lief die normale Eskalation einer Schlägerei ab.«
»Bei einer normalen Schlägerei gibt es keine Toten.«
»Ich fürchte, die Sache lief komplett aus dem Ruder, als Pulla dazustieß.«
»Wieso?«
»Ein junger Kollege, Sizilianer, vermutlich wollte er sich auszeichnen und schoss über das Ziel hinaus.«
»Sind Sie sicher, dass Catozzo und Massari zuerst am Tatort waren?«
»Nein. Die Dienstpläne sind verschwunden, ebenso die Funksprüche. Fahrtenbücher von den Streifenwagen …«
Er machte eine wegwerfende Geste.
»Wie kann überhaupt ein Beamter nachts alleine auf Streife sein? Wer war Pullas Partner?«
Palombo zuckte mit den Achseln, und Lunau hakte
Weitere Kostenlose Bücher