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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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schnaufte heftig.
    »Ich sehe ihn nicht.«
    Amanda zeigte auf eine weiße Bugwelle, die sich schnurgerade durch die Lagune pflügte. Ein Außenbordmotor sang hochtourig. Das Boot steuerte auf das Gewirr aus Pfahlbauten, Gassen, Kanälen und Kais zu, aus dem sich die Stadt Venedig zusammensetzte, kurz vor der Einfahrt in den Canal Grande bog es jedoch Richtung Süden ab und steuerte Porto Marghera an, das Chemiewerk.
    »Was will er da?«, fragte Lunau.
    »Seine Spuren verwischen, in Porto Marghera liegen riesige Frachtschiffe, und es fließen unzählige Kanäle ins Meer. Er kann sich aussuchen, über welchen er ins Binnenland fährt.«
    Amanda grinste Lunau an. Sie trug eine Strickjacke und eine graue Leinenhose.
    »Ich dachte, du willst nicht mehr mit mir zusammenarbeiten«, sagte Lunau.
    »Tu ich auch nicht.«
    »Wo hast du die Nacht verbracht?«, fragte Lunau.
    »Auf der Rückseite des Kasino-Gebäudes. Du hattest ja die Vorderfront im Blick. Wenn du nicht gerade gepennt hast.«
    Lunau setzte sich auf den Boden. Er war zwar immer noch gut im Training, aber sein Knöchel jaulte.
    Die Sonne stand inzwischen als feuerroter Ball in ihrem Rücken, warf eine funkelnde Spur auf das gekräuselte Wasser. Noch ein Motor wurde angeworfen, und ein zweites Boot machte sich auf den Weg Richtung Porto Marghera. Zwei Männer saßen darin. Keine Fischer, keine Touristen. Sie trugen Straßenkleidung und leichte Mäntel. Am Heck sah man den Außenbordmotor, einen dunkelblauen Quader, auf dem die PS-Zahl prangte: 90. Lunau und Amanda schauten einander an. Sie waren nicht die Einzigen, die umsonst auf Pirri gewartet hatten.
    »Kanntest du die beiden?«, fragte Lunau.
    Amanda schüttelte den Kopf.
    »Vielleicht Polizisten«, sagte Lunau.
    »Oder Geldeintreiber. Pirri hat jede Menge Schulden«, antwortete Amanda. »Bin ich wieder mit im Boot?«
    »Ich hatte dich nie ausgesetzt. Du warst plötzlich verschwunden. Was hast du gestern gemacht?«
    Amanda grinste und hakte sich bei Lunau unter. Sie gingen zur Vaporetto-Haltestelle, wo bereits ein paar Pendler warteten.
36
    Zu Beginn der 20. Jahrhunderts war Italien, neben Russland, der größte Hanfproduzent der Erde. Und nirgendwo wuchs so viel Cannabis sativa wie in der Provinz Ferrara. 36 300 Tonnen Hanffasern produzierte man hier pro Jahr. Im März war die Aussaat, im August die Ernte. Dann wurden die drei Meter langen Stängel gebündelt und zum Trocknen aufgestellt, anschließend, von Gewichtenbeschwert, in Rottegruben versenkt. Innerhalb von ein, zwei Wochen zersetzten die Bakterien im Wasser das pektinhaltige organische Material, und übrig blieben die robusten Hanffasern. Ideal für den Hausbau, für reißfeste Kleidung, Schiffstaue und Segel.
    Es war Sonntag morgen, die Innenstadt Ferraras wie ausgestorben. Lunau hatte nur noch zwei Namen auf seiner Liste mit den Personen, die womöglich Aufschluss über Di Natales Tod geben oder mit seinem Ableben in Verbindung stehen konnten. Pirri und Gasparotto. Der Mann vom Deichamt war abgetaucht, der Mann von Di Natales Schiffahrtsbehörde sollte, wie man Lunau in äußerst unfreundlichem Ton am Telefon gesagt hatte, bei einer Buchpräsentation sein. In der Sala Agnelli , einem mit Kassettendecke und Wandfresken geschmückten Prunksaal der Bibliothek Ariostea , hatte sich die bessere Ferrareser Gesellschaft zu einer Matinee versammelt, um einer Autorin zu lauschen, die zweieinhalb Jahre damit zugebracht hatte, die rund 1400 verbliebenen Rottegruben in der Provinz zu zählen, zu kartographieren und deren Flora und Fauna zu erfassen. Die Damen im Pelz, trotz der frühlingshaften Temperaturen, die Herren in Anzug und Trenchcoat. Über dem Podium hing die Fahne des Lion’s Clubs, der die Lesung großzügig finanzierte, außerdem die Flagge der ARNI, des Schifffahrtsamtes. Alberto Gasparotto saß in einer Reihe mit einem Bankdirektor, dem Präsidenten des Lion’s Clubs und der Autorin.
    Lunau und Amanda konnten kaum die Augen offen halten. Sie hatten die Begrüßungsworte des Bankdirektors, des Präsidenten des Lion’s Clubs und Alberto Gasparottos über sich ergehen lassen, und nun machte Lunau Gasparotto Zeichen, kurz nach draußen zu kommen. Die Zeichen wurden ignoriert.
    Die Autorin zeigte historische Aufnahmen von der Hanfgewinnung, Dias von Teichen und Tümpeln, von Molchen, Wasserlinsenund Laubfröschen. Hanf sei reißfester als Baumwolle, habe sich aber mit amerikanischen Wirtschaftsinteressen nicht vertragen. Ebenso wenig wie die

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