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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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Lunau merkte, dass er die Töne nicht in seiner Erinnerung hörte, auch war es keine Halluzination. Sein Wagen schaukelte sanft, er war von einer Schafherde umzingelt. Sie kroch an der Deichflanke hoch und zog die Straße flussabwärts weiter. Schafsglöckchen. Eine banale Erklärung. Wieso war er nicht früher darauf gekommen? Hunde dirigierten versprengte Tiere Richtung Herde, der Kopf des Schäfers schob sich über die Deichkante. Lunau wollte aussteigen, aber die Leiber blockierten die Türen. Lunau rief nach dem Schäfer, doch dieser würdigte ihn keinesBlickes. Lunau nahm die Fotos von Di Natale und Pirri, lehnte sich aus dem Seitenfenster, stieß mit den Knien ein paar Tiere zur Seite und ging auf den Schäfer zu.
    »Kennen Sie die?«, fragte er und hielt ihm die Fotos unter die Nase.
    Der Mann knurrte etwas Unverständliches und ging weiter. Er stank. Lunau war plötzlich hellwach. Es war später Vormittag, die Sonne glitzerte auf dem Fluss, und das Flirren erinnerte ihn an den betörenden Klang der Glöckchen.
    »Wie sind Sie nur auf diese Harmonien gekommen?«, fragte Lunau. »Oder hat Ihnen jemand die Glöckchen so gestimmt?«
    Der Schäfer stapfte in seinen schweren feuchten Lederstiefeln weiter. Lunau folgte ihm. Am liebsten hätte er seinen Rekorder geholt, aber dann hätte er womöglich den Schäfer mit seiner Herde verloren. Dieser stieg nämlich ins Vorland hinab, behände überwand er Hecken und Müllberge, bis er an ein halb verfallenes Haus aus Backstein kam. Es bestand aus nur einem Raum, der dank eines großen Lochs im Dach hell erleuchtet war und eine Unmenge an Klamotten, altem Werkzeug und Unrat beherbergte. Es stank nach Hammel und Katzenpisse. Die Wände waren mit Kohlezeichnungen bedeckt. Fabelwesen, die sich bekämpften und begatteten. An Nägeln hingen große Trommeln, in deren Rahmen dieselben Fabelwesen im Miniaturformat geschnitzt waren.
    Plötzlich nahm der Schäfer Lunau die Fotos aus der Hand und rief: »Pidrüs!«
    »Pidrüs?« Lunau kannte das Wort nicht. Der Schäfer nahm einen Enterhaken von der Wand und führte eine Art Tanz auf, bei dem er eingebildete Gegner erlegte. Dazu schrie er immer wieder: »Pidrüs, Pidrüs!« Schließlich reichte er Lunau den Haken, holte einen großen Jutesack und eine Sichel, deutete wieder auf die Fotos und gab Lunau einen Wink.
    Sie gingen hinaus, der Schäfer erteilte den Hunden ein paar stumme Anweisungen und klopfte einigen der Lämmer auf den Schädel. Dann führte er Lunau an eine Röhre, die aus der Deichflanke ragte. Er zeigte Lunau, wie er den Enterhaken zu halten habe. Mit der Eisenspitze gegen die Öffnung der Röhre.
    Der Schäfer stieg die Böschung hoch, gab Lunau noch einmal zu verstehen, dass er dort zu warten habe, dann war er verschwunden. Im Hintergrund waren tiefe Dieselmotoren zu hören, vermutlich die Schwimmbagger, die auf dem Po oder in Zappaterras Grube arbeiteten. Ein Boot mit Angeltouristen glitt in Lunaus Rücken vorbei, über die Deichstraße kamen Radwanderer und winkten fröhlich. Mehr passierte nicht. Lunau stand mit gespreizten Beinen über dem Kanal, den der Zulauf sich gegraben hatte. Ein paar Stechmücken umkreisten Lunaus Kopf, setzten sich dann auf die Handrücken und fingen an zu saugen.
    Lunau wurde langsam ungehalten. Er dachte an die Gummiwand aus Hilfsbereitschaft, vermeintlicher Aufgeschlossenheit und frecher Lüge, gegen die er immer wieder anrannte. Dany hatte ihm, fast ohne Zögern, intime Details verraten, auch Silvia und Zappaterra hatten sich zugeknöpft gegeben und gleichzeitig entscheidende Fakten preisgegeben. Lunau war es gewohnt, dass sein offenes Gesicht den Interviewpartnern Vertrauen einflößte. Aber seine besten Geschichten hatte er bisher dank seiner Beharrlichkeit recherchiert. Wenn er immer wiederkam, öfter als seine Kollegen, hörten die Interviewpartner Anteilnahme aus seinen Fragen heraus, und sie empfanden es als Erleichterung, einem Fremden zu beichten. Lunau hatte dann Mühe, bei diesen Beichten eine Grenze zu ziehen.
    Immer wieder dachte er an die merkwürdige Entgleisung Gasparottos. Wirtschaftsgebäude, die nur die AIPO hat. Magazzini . Lunau holte sein Handy hervor und rief Amanda an.
    »Was sind die Magazzini , von denen Gasparotto gefaselt hat?«, fragte er.
    »Wieso?«
    »Erkläre ich dir gleich. Was hat es damit auf sich?«
    »Lagergebäude entlang der Deiche, in denen Werkzeuge und Material zum Hochwasserschutz bereitliegen.«
    Plötzlich hörte man ein Rauschen und

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