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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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Ludovico Ariosto stand. Lunau erhob sich und schaute aus dem Fenster. Keine Einbildung, die Jugendlichen waren da. Er legte sich wieder hin und dachte nach. Er spürte, dass er irgendetwas übersah. Etwas, das mit Amanda zusammenhing. Er wartete bis in die Morgenstunden auf einen Anruf.
    Vergeblich.

TEIL III

43
    Inzwischen hatte die Nacht eine kühle, gnädige Brise in Bolognas Straßen getragen. Sanft strich die Luft über das Kopfsteinpflaster, durch die zahllosen Arkaden, sie lockte die quälende Schwüle aus den Coppi und aus den vor Hitze berstenden Hausmauern. Sie trocknete den Schweiß unter Aroldos Hemd und trug drei Schläge von der Kirchturmuhr an sein Ohr. Aroldo lag hinter dem ausgebrannten LKW und beobachtete den Haupteingang zur Questura, über der eine Laterne brannte. Zwei amerikanische GI s standen neben der weißen Marmortreppe, die Sturmgewehre neben sich. Aroldo hatte lange überlegt, wie man die Wachen ausschalten konnte. Ein offener Konflikt kam nicht in Frage. Offiziell hatten die Partisanen sämtliche Schusswaffen abgeliefert und sich der alliierten Militäradministration unterstellt. So schwer ihnen das gefallen war. Denn nur wenige Wochen nach der so genannten »Befreiung« roch es im ganzen Land schon wieder nach Mauschelei. Versiegelte Güterzüge rollten aus Italien Richtung Frankreich und Deutschland. Die Deutschen waren manische Aktenhüter gewesen, hatten über jedes Bußgeld, jede Denunziation akribisch Buch geführt. Sie hatten Befehle und Anordnungen abgestempelt, unterzeichnet und abgeheftet. Anzeigen und Festnahmen protokolliert. Doch von all diesen Akten war nichts mehr zu finden. So hektisch der Rückzug der Deutschen gewesen war, so sorg fältig hatten sie die Spuren ihrer Gräueltaten verschwinden lassen. Oder waren es gar nicht die Deutschen selbst gewesen, die diese Spuren getilgt hatten? Hatten sie sich, und dieser Verdacht ließ Aroldo keine Ruhe, schon vor der Kapitulation mit Amerikanern, Franzosen und Engländern geeinigt?Wussten die Deutschen, dass man sie im Bollwerk gegen den Sowjetkommunismus brauchte? Dass unter den kapitalistischen Westmächten niemand Interesse daran hatte, alte Rechnungen zu begleichen?
    Giovanna, das rothaarige Mädchen mit den kräftigen Waden und der Stupsname, ehemalige Kurierin der Partisanen, jetzt Dolmetscherin bei der amerikanischen Militärverwaltung, hatte an der Rückfront des Gebäudes ein Kellerfenster geöffnet. Aroldo gab seinen zwei Kameraden ein Zeichen, sie sprangen von der Ladefläche und schlenderten an den GI s vorbei, riefen ihnen sogar einen Gruß zu und baten um Zigaretten. Die beiden farbigen Männer warfen ihnen zwei Glimmstängel zu. Aber die Kameraden verlangten mehr und verwickelten die GI s in eine Feilscherei. Was sollte das? Sie riskierten, dass man sich ihre Gesichter einprägte! Schließlich bedankten sie sich, bogen um die Hausecke, und dann herrschte Stille. Aroldo wartete. Er hatte in den letzten Jahren nichts anderes gelernt, als zu warten. Vergeblich zu warten. Er hatte auf den Sieg des Sozialismus gewartet, dann auf den Fall des faschistischen Regimes, dann auf die Befreiung durch die Alliierten, und jetzt warteten sie auf ein demokratisches Italien, an dessen Gründung man sie, die sie die Befreiung erkämpft hatten, nicht teilnehmen lassen wollte.
    Eine Katze miaute. Das war das Zeichen. Aroldo kletterte aus dem Führerhaus und bog ebenfalls in die dunkle Seitenstraße. Die Kameraden standen an die Hauswand gelehnt und pafften, schlugen einander auf die Schulter und lachten, wie im zwanglosen Gespräch. Aroldo kauerte sich auf den Boden und kroch zwischen ihren Beinen hindurch. Er ließ sich nach unten gleiten, während er sich mit den Händen an dem scharfkantigen Metallrahmen festhielt. Seine Fußspitzen baumelten im Nichts und stießen dann an die Stuhllehne. Er fand sicheren Halt und schloss das Fenster.
    In dem Keller roch es nach Schweiß und fauligem Papier. Aus einer Ecke, in der sich Kartonagen türmten, kam ein Rascheln undFiepen. Noch vor zwei Monaten war jeder Italiener, der in diesem Keller landete, so gut wie tot gewesen. Aroldo legte die Hand über das Glas seiner Taschenlampe, schaltete sie ein und ließ einen winzigen Strahl durch die Finger leuchten. An den Wänden dunkle Flecken, von Schimmel oder Blut, der Kalk war in großen Beulen abgefallen. Aroldo musste den Korridor finden und dann nach rechts gehen. Bis zur vierten Tür, hatte Giovanna gesagt. Die Tür bestand aus massiven

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