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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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Aufsatz in einer amerikanischen neurologischen Zeitschrift. Akustische Halluzinationen waren ein Tabuthema, so wie partielle Taubheit, weil sie vor allem Berufsmusiker befielen. Daraufhin wagte Lunau sich selbst zu einem Spezialisten. Es folgte eine monatelange Ochsentour. EEGs, Therapiegespräche, Überweisungen, Streit mit der Krankenkasse. Lunau merkte, dass nach Phasen, in denen er dem Lärm seiner Familie ausgesetzt war, in denen er versuchte, sich trotz der tobenden Kinder auf seine Audiofiles zu konzentrieren, die Halluzinationen zunahmen. Die Ärzte hatten alle nur einen Rat: Sich Ruhe gönnen und Stress vermeiden. Nichts leichter als das – für einen Freiberufler mit zwei kleinen Kindern.
    »Du willst sagen, deinem Gehör ist es nicht zuzumuten, mit uns zusammenzuleben?«, hatte Jette gefragt.
    Er hatte nur genickt.
    »Du hast dir per Attest bescheinigen lassen, dass du uns verlassen musst?«
    »Ich verlasse euch nicht. Ich muss nur ein bisschen auf Abstand gehen, mich in einer stillen Umgebung aufhalten, für ein paar Wochen. Wir bleiben eine Familie.«
    »Du suchst dir eine Junggesellenbude, ich schmeiße hier den Laden, und wenn du Lust auf Abwechslung hast, dann schaust du mal rein?«
    »Ich habe jahrelang alles der Familie untergeordnet. Jetzt muss ich einmal an mich denken. Was nützt es dir, wenn ich in der Klapsmühle lande oder ertaube?«
    »Du machst es dir ein bisschen einfach. Hättest du dir das nicht überlegen können, bevor wir eine Familie gegründet haben?«
    »Da war ich noch nicht krank.«
    »Du meinst, wir machen dich krank?« Sie schaute ihn an. Mit ihren klaren, hellblauen Augen und ihrem schmalen Kinn,das so sanft und zerbrechlich wirken konnte und so spitz und abweisend.
    »Ich habe mit Gabriela geredet, die ist Neurologin. Ein Tinitus tritt normalerweise auf, wenn das Gehör nachlässt.«
    »Es ist kein Tinitus.«
    »Es gibt diese Krankheit nicht, von der du faselst. Du hättest eine Familie von Taubstummen gründen sollen.«
    Man macht nicht nur mit den Stimmbändern Lärm, hätte er sagen wollen, aber für seinen Sarkasmus war nicht der rechte Zeitpunkt. Sie ging auf und ab, wollte schreien, sah die Köpfe der Kinder im Türspalt und dämpfte die Stimme auf ein normales Volumen.
    »Vielleicht ist das wirklich eine Krankheit, die mit dem Hirn zusammenhängt. Die kommt aber nicht von deiner musikalischen Ausbildung oder deiner Arbeit im Tonstudio. Du willst nur einfach nicht auf andere hören, das ist dein Problem. Du hast noch nie eine andere Meinung akzeptiert als deine eigene. Und inzwischen ist das pathologisch.«
    »Ich habe meine Karriere für euch aufgegeben, versaure in einem Büro, damit du dich nicht mehr ängstigen und die Kinder nicht von der Kita abholen musst.«
    »Wir sind nicht schuld daran, dass Kurt umgekommen ist.«
    »Was hat das mit Kurt zu tun?«
    »Wenn du ausziehst, dann ist es endgültig. Überlege es dir gut.«
    Lunau war ausgezogen, vorübergehend, wie er hoffte. Aber schon am nächsten Tag war das Wohnungsschloss ausgewechselt. Drei Monate später reichte Jette die Scheidung ein.
    »Und deshalb machst du so voyeuristische Aufnahmen?«
    »Ich versuche, so viel wie möglich aufzuzeichnen, dann kann ich im Zweifelsfall überprüfen, ob ich etwas erlebt oder mir nur zusammengesponnen habe.«
    »Auf die Art erlebst du gar nichts. Und herausgefunden hast du hier in Ferrara auch nichts.«
    Das wusste Lunau nur zu gut. »Trotzdem hat es für mich keinen Sinn, länger hierzubleiben«, sagte Lunau. »Die Sache ist aufgeklärt, auch wenn die Lösung des Falles uns nicht gefällt. Und meine Reise-Impressionen, die werde ich schon irgendwie zusammenschustern.«
    Sie machte ein verächtliches Gesicht. »Und Marco?«
    »Der nächste Verhandlungstag ist für Mitte Juni angesetzt.«
    »Eben. Du siehst, dass der Prozess eine Farce ist. Wir müssen ganz anders an die Sache herangehen. Du hast weder mit Marcos Freunden geredet noch mit den Polizisten.«
    »Ich war bei Palombo und bei Marcos Mutter.«
    »Ich weiß. Du hättest mich ruhig mitnehmen können.«
    »Es haben sich keine neuen Fakten ergeben. Mir fehlen die Mittel, um bei dieser Geschichte in die Tiefe zu dringen.«
    »Ich hatte mir unseren letzten Abend anders vorgestellt. Ich hatte mir die Zusammenarbeit mit dir anders vorgestellt«, sagte Amanda.
    »Das Leben läuft anders, als man es sich vorstellt.«
    Sie knallte die Gabel in den Teller. »Du kotzt mich wirklich an. Du redest wie mein Alter.«
    »Vielleicht

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