Acqua Mortale
weil ich so alt bin wie dein Alter. Ich hatte dir gesagt, du sollst dich von diesem Heroenimage aus dem Internet verabschieden. Ich bin nicht besser als andere Journalisten.«
Sie schüttelte den Kopf. »Du willst dir einfach nicht mehr die Mühe machen, besser als die anderen zu sein. Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass du alt wirst.«
»Hast du noch etwas herausgefunden?«
»Nein«, sagte sie.
Wieder sah er ihren schlanken, nackten Leib vor sich, und erbegann bereits daran zu zweifeln, dass die Szene am Fluss sich so zugetragen hatte wie in seiner Erinnerung.
»Warum wolltest du mich eigentlich ausgerechnet am Lido treffen?«, fragte er.
Sie schaute ihn an. »Was soll die Frage?«
»Beantworte sie einfach.«
»Es gibt in Ufernähe keine gefährlichen Strömungen. Früher war dort ein richtiges Strandbad.«
»Ich weiß.«
»Na also.«
»Und warum hast du deinen Artikel beim Carlino veröffentlicht und nicht in Il Tempo di Ferrara ?«
»Was soll das werden? Ein Verhör?«
Ihr Ton sollte gleichgültig klingen, aber sie war rot geworden. Sie entschuldigte sich mit einer knappen Bemerkung und verschwand Richtung Toilette. Ihre Handtasche hatte sie mitgenommen, nicht jedoch die Umhängetasche aus der LKW-Plane. Lunau betrachtete die abgestoßenen Kanten, die wettergegerbte Lackschicht, die einst als Werbeaufschrift über die Autobahnen gerollt war. Er behielt die Tür zum Klo im Auge und zog die Tasche auf seinen Schoß.
In der Kladde zu Pirri waren die Unterlagen, die Amanda ihm kopiert hatte: ein Abriss seiner finanziellen Katastrophe, aber auch Observierungsprotokolle. Der Kellner kam an den Tisch, Lunau verscheuchte ihn mit einer unwirschen Geste. Seine Gedanken fingen an zu rasen. Was für ein Spiel spielte Amanda mit ihm? Sie musste Pirri vor dessen Fahrt nach Venedig irgendwie geortet und durch die Stadt verfolgt haben. Davon hatte sie Lunau nichts gesagt. Das Protokoll setzte am Freitag, um 11 Uhr 15 ein, eine Stunde, nachdem er sie an Di Natales Haus abgelöst hatte. Lunau las die Aufzeichnungen. Pirri war auf mehreren Banken gewesen, dann bei Autohäusern. Er hatte Gasparotto getroffenund den Sekretär des Bürgermeisters. Alles photographisch dokumentiert. Pirri auf dem Hof eines Gebrauchtwagenhändlers. Pirri war bei vielen Autohändlern gewesen. Pirri gestikulierend, auf einem Schrottplatz. Pirri, der in die ausgestreckte Hand eines Händlers einschlägt. Und da war auch das Photo aus der Zeitung : Pirri, der Papiere und Schlüssel übergibt.
Fotos von zwei Autos, die auf einem Hof standen, im Fenster Schilder mit dem Preis, Kilometerleistung, Ausstattung. Ein weißer BMW-Geländewagen und ein blauer Punto.
Die Tür zur Toilette ging auf, Amanda kam heraus. Sie schien noch ein Stückchen größer geworden zu sein. Ihr Blick war undurchdringlich. Lunau schob die Kladden in die Tasche zurück. Amanda blieb stehen. Lunau konnte die Tasche nicht mehr unauffällig auf den Stuhl legen.
»Gehen wir?«, fragte sie und schaute ihn völlig gleichgültig an. Lunau wollte sie zur Rede stellen, doch dann besann er sich. Er hatte kein Recht, in ihren Sachen zu stöbern. Und vielleicht wartete sie nur auf einen besonderen Moment, um ihm die Informationen zu servieren.
»Deine Tasche«, sagte Lunau und hielt sie Amanda an einem Finger hin.
Sie nahm sie wortlos. Schien keinen Verdacht zu schöpfen. Hatte man Amanda auf ihn angesetzt? Aber dann stellte sich immer wieder die Anfangsfrage: Warum hatte sie ihn überhaupt nach Ferrara geholt?
Lunau zahlte an der Kasse, nahm gedankenverloren eine Visitenkarte des Wirtes und folgte Amanda in den Nieselregen. Sie gab ihm die Hand. »Du kannst meinem Mini folgen, so kommst du zurück in die Stadt.«
Lunau starrte auf den weiten Kiesplatz.
Sie schaute ihn an und schüttelte den Kopf. »Aus dir soll einer schlau werden. Ich verlange ja nicht, dass du jetzt sentimentalwirst, aber wenn ich dich richtig verstanden habe, werden wir uns nicht wiedersehen.«
Er nickte und schaute ihr in die Augen. Falls sie ihm etwas vorspielte, dann war sie brillant. Aber vielleicht hatte Lunau jetzt auch noch die Menschenkenntnis verlassen, auf die er sich immer etwas eingebildet hatte.
Er folgte den roten Rücklichtern durch den Sprühregen, parkte im Hof des Hotels und legte sich auf sein Bett. In der Ferne rauschte der Verkehr, unten auf der Piazza spielten ein paar angeheiterte Jugendliche Fußball. Die Lederkugel klatschte mehrmals gegen das Marmorpodest, auf dem
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