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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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Holzbohlen, davor ein Riegel und ein schweres Vorhängeschloss. Das hatte Giovanna nicht gesagt. Aroldo war ohne Werkzeug gekommen. In einem Haufen Gerümpel suchte er eine Stange, die er als Brecheisen nutzen konnte. Er fand nur zerborstene Holzkisten, Ölplanen und ein bisschen Draht. Er bog sich einen Dietrich zurecht und versuchte, das Schloss zu knacken. Vergebens. Er suchte die Mauerritzen und Winkel nach einem Versteck ab. Doch nirgendwo war der Schlüssel deponiert. Er ging den Korridor bis zur Treppe, dann stieg er langsam Richtung Erdgeschoss.
    Die Questura war um diese Zeit nur von Sicherheitsposten besetzt, gearbeitet wurde nicht. Er hörte von fern Gelächter und das Klirren von Gläsern.
    Er kehrte an das Kellerfenster zurück und gab mit der Taschenlampe ein Leuchtsignal. »Ich brauche Schraubenzieher, ein Brecheisen und Dietriche«, sagte er. »Wo sollen wir das hernehmen?«, fragten die beiden zurück. »Bringt mir eine Eisenstange, irgendetwas.«
    Die Turmuhr schlug halb vier, sie schlug vier und dann halb fünf. Singvögel kündigten die Morgendämmerung an. Aroldo war mehrmals an die Tür gegangen, hatte vor Wut dagegengetreten. Dann schlich er sich im Erdgeschoss bis an die Pförtnerloge. Dort saß ein Soldat und las in einer Zeitschrift. Alle fünfzehn Minuten stand er auf, schaute nach den Posten an der Tür und kontrollierte die beiden Hintereingänge im Erdgeschoss. Als er zu seinem Rundgang aufbrach, schlich Aroldo sich an den verglasten Schalter derLoge. Er sah an der Rückfront zahllose Haken, an denen Schlüssel hingen. Aber welcher war der richtige? Es gab große Eisenschlüssel mit einfachem und mit Doppelbart, Flach- und T-förmige Kreuzschlüssel. Beschriftet nur mit Symbolen. Aroldo drückte die Klinke an der Tür zur Pforte. Abgeschlossen. Er betrachtete die Scheibe über dem Tresen. Einfaches, drei Millimeter dickes Fensterglas, nicht gepanzert. Aber wenn er die Scheibe einschlug, blieben ihm nur wenige Minuten. Zu wenige, um die richtigen Akten zu finden und aus dem Gebäude zu schaffen. Aroldo konnte nur in den Keller zurückkehren und auf Hilfe hoffen. Wieder einmal. Er dachte an die Verhöre, die sie in ihrem Kommando in Ferrara geführt hatten. Mehrmals war er seinen Kameraden in den Arm gefallen, wenn sie mit Fäusten und Stuhlbeinen losgehen wollten. Da saßen der Podestà, die Orts- und Provinzsekretäre der faschistischen Partei, gut genährt und in teurer Wäsche. Sie schwiegen und grinsten. Der letzte war Ettore Gasparotto gewesen. Alle »wussten«, dass er seinen Reichtum dem Faschismus zu verdanken hatte. Latifundien, die durch Trockenlegungen entstanden waren, Gemälde, die er Juden bei der Verhaftung abgeschwatzt hatte. Aber was davon war schäbig und was ein Verbrechen? War er tatsächlich auch der Denunziant, für den alle ihn hielten? Seine Hausmädchen hatten ausgesagt, noch im April 1945 sei ein Sack Salz aus Bologna geliefert worden. Kein Beweis, dass er auch für Fiammas und Stefanos Tod verantwortlich war.
    Es fiel bereits ein fahles Licht durch das Mäusegitter, als Aroldos Kameraden ihm das Werkzeug hereinreichten. Sie hatten lange gebraucht, aber sie hatten ganze Arbeit geleistet: In einem Leinensack ließen sie Schraubenzieher und -schlüssel, Brech- und Stemmeisen, mehrere Hämmer und Sägen herunter. Außerdem einen Satz Dietriche. Aroldo fing mit dem kleinsten an, das Schloss sprang sofort auf.
    Giovanna hatte ihn auf die richtige Fährte gesetzt. Die Wände waren mit grauen Metallschränken bedeckt. Vom Fußboden bis zurDecke. Aroldos Herz fing zu rasen an. Die Bilder, die er monatelang verdrängt hatte, weil sie ihn aus dem Schlaf rissen, an verlassenen Kreuzungen oder in überfüllten Schenken anfielen, stürmten wieder auf ihn ein. Der Fußmarsch nach Ferrara, nach der Kapitulation, mit einem vor Übermut johlenden Lorenzo, der plötzlich in die Luft gehoben wurde und in einem Regen aus Erde und Schotter wieder auf den Weg fiel, das Nachthemd, das Aroldo eines Morgens aus dem Zimmer seiner Verlobten hatte hängen sehen. Ein weißes Gespenst am Fensterkreuz, darin seine Verlobte. Und immer wieder das dumpfe Klatschen, mit dem Fiammas und Stefanos Körper aus dem Mannschaftswagen der S S gefallen waren. Aroldo schlug mit dem Brecheisen auf die Schränke ein. Er fuhr in die Ritze, ein kleiner Schlag gegen das Ende, und die Hebelwirkung reichte, um die dünnen Blechtüren mit einem ächzenden Geräusch aufspringen zu lassen. Aroldo hatte ein paar

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