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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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und Wut übertrugen. Sie tauschten in dem komplexen Organismus, den dieses Gemäuer darstellte, in einer ständigen Osmose, Morddrohungen aus. Aber wie jede Osmose gehorchte auch diese dem Druckgefälle zwischen den Zellen. In Pirris Zelle herrschte Unterdruck, die Androhungen körperlicher Gewalt strömten in unaufhörlichem Fluss zu ihm herein. Giuseppe Pirri hatte sein Lebtag keine Angst gehabt. Nur eine unschuldige Angst vor dunklen Kellern, später vor einem bösartigen Tumor, aber jetzt wusste er, das war nicht die richtige Angst gewesen. Dierichtige Angst hatte keinen konkreten Gegenstand, sie schlug einen nieder wie ein kalter Hammer, sie lähmte die Muskeln, fraß sich wie eine ätzende Flüssigkeit vom Gedärm durch Organe und Glieder. Die richtige Angst war vollkommen, total, sie duldete nichts neben sich. Die richtige Angst war allmächtig wie ein strafender Gott, der den Sünder am Leben ließ, auf dass er litt. Falls es eine ewige Hölle gibt, dachte Pirri, dann gibt es darin keine feixenden Teufel, keine Folterinstrumente, keine siedenden Bottiche. Sie ist nur erfüllt von dieser Angst.
    Er hörte Schritte. Und sah sofort wieder die Gesichter hinter den Gucklöchern. Aufgedunsene Schädel, malträtiert von Drogen, Alkohol, Tätowiernadeln und Schlägen. Er hatte auf dem Weg in die Zelle versucht, niemandem in die Augen zu sehen, weil das als Provokation galt, aber er hatte die Gerüchte gehört und nachts die Schreie von anderen Häftlingen. Zuerst panisch, ohne Sinn und Verstand, dann rhythmisch, wie unter einer Peitsche oder einem anderen Werkzeug, bis sie schließlich verstummten. Während sein Hirn weiter nach Bildern suchte, die zu diesen Schreien passen konnten, Schreien, wie er sie noch nie vorher gehört hatte. Die Schritte kamen näher. Er warf sich gegen die Tür, rüttelte an der Klinke. Sie war abgeschlossen. Aber dann hörte er die Schlüssel, die sanft klingelten. Er klammerte sich an die Eisenstäbe an der Luke, spreizte die Beine und stemmte die Füße gegen die Wände. Er spürte den heftigen Zug an der Tür, aber er hatte plötzlich Bärenkräfte. Sie würden ihn nicht bekommen. Er würde sich nicht abschlachten lassen.
    Man schrie etwas durch die Luke, er solle loslassen. Er sah die Uniform. Für wie blöd hielten sie ihn eigentlich? Im Gefängnis bekam man alles. Drogen, Werkzeug, sogar Waffen. Alles eine Frage des Preises. Natürlich bekam man auch Uniformen.
    Eine zweite Uniform tauchte auf, eine dritte, und plötzlich zischte etwas vor seinem Gesicht, eine Wolke kam auf ihn zu, trafihn wie ein Keulenschlag mitten ins Gesicht, seine Muskeln gehorchten ihm nicht mehr. Pirri fiel wie ein Käfer auf den Rücken, die Tür flog auf, sie zerrten ihn auf die Beine und legten ihm Handschellen an.
    Sieben Minuten später saß er in einem rechteckigen Raum. Seine Kleidung war durchnässt, man hatte ihn wieder wach gekriegt, aber er konnte den Mann, der ihm gegenüber saß, kaum erkennen.
    »Niemand kann uns hier hören«, sagte der Mann mit dem weißen Kinnbart. »Sie müssen mir schon die Wahrheit sagen, wenn ich Sie verteidigen soll.«
    Pirri war erleichtert, dass man ihn nicht zu den anderen in eine Zelle gesteckt hatte. Aber wenn die U-Haft vorbei war, dann würde er verlegt werden. Dann war es vorbei mit der Einzelzelle. Dann war er ihnen ausgeliefert.
    »Ich habe eben einen Anruf von der Polizei bekommen. Stimmt es, dass Sie versucht haben, den deutschen Journalisten zu überfahren, dass Sie aber Di Natale nicht getötet haben?«
    »Haben Sie das Schlafmittel?«
    »Sie sollen meine Frage beantworten.«
    »Wann ist der Prozess?«
    Der Mann sah auf die Uhr. Von den fünfzehn Minuten waren drei bereits verstrichen.
    »Das Schlafmittel.«
    Der Anwalt nahm eine weiße Tablette aus der Sakkotasche und legte sie auf den Tisch. Pirri steckte die trockene Pille in den Mund und schluckte sie hinunter. Aber sie wirkte nicht.
    »Die Packung, ich will die Packung«, schrie er.
    Der Anwalt schüttelte den Kopf. »Ich könnte Sie vielleicht aus der Untersuchungshaft holen. Dazu müssen Sie mir aber erzählen, was tatsächlich passiert ist.« Er blätterte in einer Akte. »Wissen Sie, wer es war? Waren Sie dabei?«
    Pirri antwortete nicht.
    »Ich werde für morgen früh einen Haftprüfungstermin beantragen. Die Polizei hat, bis auf Ihr Geständnis, keinerlei Beweise, nicht einmal Indizien gegen Sie. Der Tatort wurde nicht eindeutig ermittelt, an der Leiche sind keinerlei biologische Spuren von Ihnen

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