AD ASTRA Buchausgabe 008 Der Schattenstern I
strömten die potentiellen Passagiere in Form eines breiten Menschenwurms in den Raum und teilten sich dann in die 7 kleineren Schlangen, welche sich zu den beidseitig der Gleise gelegenen Bahnsteigen schoben. Der Lärm, der ob der gewaltigen Masse an Lebewesen entstand, war enorm, dabei war hier nur die Hälfte aller Bahnnutzer anwesend: Jenseits der 7 Tunnel lag zunächst ein weiteres Terminal, das jedoch nicht dem Einstieg, sondern dem Ausstieg diente. So war gewährleistet, dass einerseits die ankommenden Züge leer waren und sich andererseits die Ein- und Aussteiger nicht gegenseitig behinderten.
Die Bahn selbst war vor 6500 Jahren erstmalig errichtet und vor 80 Jahren zum letzten Mal ausgebaut und modernisiert worden; seitdem hatte sie einem im Grunde genommen reibungs- und verzögerungslosen Betrieb nachweisen können, doch heute kam sie weit über ihre Auslastungsgrenze.
Im üblichen 6-Minuten-Takt kamen die Bahnen an: 40 Meter lange Züge, die auf 2 Etagen 250 Passagieren einen Sitzplatz boten, diesmal jedoch durch das Eröffnen von Stehplätzen die doppelte Kapazität aufwiesen. Dies bedeutete, dass in den insgesamt 58 Minuten, die Pox bis zu seinem Einstieg wartend verbringen musste, 4500 Personen den Obelisken per Bahn verlassen, und ebenso viele auf dem gleichen Weg aus in Imperia kommend erreicht hatten - das waren 45% der Dauerbewohnerschaft des Obelisken.
Von diesen 4500 Personen unterschiedlichster Herkunft und Rasse trugen nach Pox’ visuell-arithmetischen Sensoren 2971 offene oder halbverdeckte Neumondblütensymbole, die sie als Mitglieder der Cahaizo stigmatisierten; dies bedeutete, dass sich deren Hegemonie nicht nur auf den Obelisken beschränkte, sondern auch nach Zenit City und vermutlich ebenso bis in anderen beiden Städten reichte. Wieder einmal belegte die von Pox wahrgenommene Situation die Allgegenwärtigkeit der Rebellion im Imperium.
Pox, der keinerlei Bedürfnis nach einem Sitzplatz verspürte, stand im rechten, unteren Flur im vorderen Viertel des Zuges, konnte aber trotz seiner relativ geringen Größe aus einem der zahlreichen und großen Fenster blicken und sah so die natürliche Landschaft Zenits vorbeiziehen. Wenige Sekunden nach Fahrtbeginn passierten sie zunächst eine Kontrollstation, die vor nicht langer Zeit erstes Opfer des Rebellenangriffs geworden, nun provisorisch wieder aufgebaut war. Ein leichtes Ruckeln war spürbar, dann eröffnete sich den Passagieren das berühmte Panaroma der Obelisk-Zenit City-Strecke.
Die Hochbahnstrecke führte in 220 Meter Höhe über ein „Obeliskenebene“ genanntes, tiefgrünes Gräsermeer, über das einige Vllapo-Herden – Rudeltiere mit glattem, ockerfarbenem Fell, 4 langen, dünnen Beinen und 2 verkümmerten, gefiederten Flügeln auf dem schmalen Rücken – dahin zogen. Die Richtung verlief auf das gewaltige Zentralgebirge zu, dessen schneebedeckte Gipfel sich anschickten, den Himmel zu erstürmen. 2 Minuten nach Fahrtbeginn erreichte dann die Bahn die steil aufsteigenden Felsen und verschwand in einem Tunnel. Genau eine Minute und 32 Sekunden dauerte die Fahrt in der Dunkelheit, in deren Verlauf das Innere der Bahn von einem hellweißen Kunstlicht beleuchtet wurde. Selbiges erlosch in der 4. Minute der Fahrt schlagartig und wurde sekundengenau ersetzt von einem grellen Tageslicht: Der Zug war in dem Tunnel unmerklich nach oben gefahren und brach nun in einer Höhe von 2800 Metern aus dem Felsen, um seinen Insassen ein atemberaubendes Gipfel- und Gletscherweltpanorama zu bieten. Doch bereits eine weitere Minute später waren die Gipfel immer niedriger geworden, hatten sich die Berge zu Ausläufern des Gebirges reduziert und wurden nach insgesamt 5 Minuten Fahrt seit Aufbruch vom Obelisken zu einer nicht minder beeindruckenden Seenlandschaft. Stehende Gewässer und Flussläufe unterschiedlichster Größe glitzerten in den hellen Strahlen der Sonne, die vom klaren Himmel schien. Ein Wald, weiterhin unterbrochen von glänzenden Seen, rückte heran und flog unter dem rasenden Zug davon, machte den Blick frei für einige baumbestandene Hügel; die Landschaft und die Vegetation ließen erkennen, dass das Klima hier deutlich wärmer und maritimer wurde.
Und dann kam das Meer: Eine vom Wind leicht bewegte, grünblaue Fläche breitete sich, so weit das Auge, reichte aus.
Der Obelisk der Macht erhob sich auf dem großen Kontinent Jatka, während die Stadt Imperia an der Küste des Kleinkontinents Suberia lag; beide Festlande waren
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