Ada liebt
Wochen hatte Bo den
Hörer aufgelegt und seitdem war es still in meinem Leben, nur die Züge
rauschten an meinem Fenster vorbei, die bremsten und anfuhren und Bo nicht
brachten. Der Herbst schlug mit seinen kahlen Ästen nass an meine
Fensterscheibe, ansonsten klopfte niemand.
In meiner Ruhe nahm ich mein altes
Leben wieder auf, mein Leben vor Bo, denn seit es Bo gab, hatte sich mein Leben
in zwei Hälften geteilt, ein Leben vor Bo und eines danach. An das Leben vor Bo
erinnerte ich mich kaum, und das Leben danach war der Rede nicht wert.
Irgendwann einmal gab es auch ein Leben mit Bo, aber das zählte nicht mehr, und
es war kurz und es war vorbei.
Der Alltag war wiedergekehrt, mit ihm
die Gesichtsfarbe und ein paar zusätzliche Kilos, die ich mir nicht erklären
konnte, denn ich aß fast nichts, ich fühlte mich gut, denn ich brauchte ja
niemanden. Meine Tage verliefen in festen Strukturen und ich sah kein Schwein
und keine Kuh und mir fehlte nichts.
Nur manchmal sah ich Bo irgendwo
stehen, und dann ging ich schnell weiter, denn ich wusste, dass er es nicht
war, und ich fühlte mein Herz, und es war besser, wenn man es nicht fühlte.
Fühlst du dein Herz, Ada, hatte mich meine Mutter so oft gefragt, und ich hatte
es nie gefühlt, und jetzt fragte ich mich, warum ihr dieser Schmerz so wichtig
war.
Die Tage krochen farblos dahin. Ich
saß in der Uni bei Wolff, am Mittag ging ich wieder in das Café, wo die
Kellnerin sagte, wie immer, und am Abend schloss ich die Tür auf, die mich in
mein stilles Zuhause spuckte.
Ich hatte Einkäufe erledigt auf dem
Rückweg und dachte über Wolff nach, der heute seine ersten Kapitel eingereicht
hatte. Ich musste jetzt auch mal loslegen, und ich fragte mich, was ich denn
machte den ganzen Tag. Ich haute in die Tasten wie Wolff und saß den ganzen Tag
an meinem Schreibtisch oder in der Bibliothek und alles war anders geworden und
voran ging gar nichts.
Die Bücher, ihr Geruch, das sanfte
Rascheln beim Umblättern des Papiers, es knisterte nichts mehr unter meinen
Händen und mein Herz sprang nicht, weil ein Buch gut war, und auch die klugen
Gedanken, die ich einst in Marmeladegläsern einmachen wollte, waren mir
irgendwie aus dem Kopf gefallen.
Nach dem Sommer mit Bo war es überraschend
schnell Herbst geworden, die Menschen klagten über wetterbedingte Depressionen
und ich stimmte ein in ihren Gesang, und als um fünf Uhr der Himmel erneut
seine Wolken aufriss und es aus Eimern schüttete, fielen mir die kleinen
Gummistiefel neben Bos großen ein. Für einen kurzen Moment dachte ich, dass ich
doch einen Teil von Bo hier in der Stadt brauchen könnte, und dann ging ich in
ein Schuhgeschäft und kaufte mir neue Gummistiefel, die schöner waren und
glänzten, und ich zog sie gleich an.
Der Wind wehte kalt, ich stieß mit dem
Fuß die schwere Haustür auf und öffnete mechanisch den Briefkasten. Zwei
Rechnungen waren drin und auch eine Mahnung von der Ausleihstelle der
Landesbibliothek wegen eines Buches über biologischen Ackerbau, das ich nicht
zurückgeben konnte, weil ich es noch lesen musste, was ich nicht tat, weil ich
wusste, dass ich es dann zurückbringen würde, und es war das letzte Buch mit
Wörtern wie Mist und Mastitis und danach würden keine mehr folgen und deshalb
lag es noch auf meinem Tisch und vorne drauf war eine Kuh, die mich
vorwurfsvoll ansah. Ich würde morgen in die Bibliothek fahren und sagen, das
Buch sei verloren, und dann bezahlte ich es eben.
Ich steckte die Post in die Tüte zu
den Einkäufen. Erst mal nach oben, dachte ich, während der Regen aus meiner
Jacke lief und in meine neuen Gummistiefel tropfte.
Die Treppenstufen wurden mit jedem
Schritt höher und ich hörte mich prusten wie damals im Sportunterricht. Ich
wohnte ganz oben im vierten Stock, denn dort passierten die wenigsten Einbrüche,
und ich hatte rasende Angst, wenn das Licht ausging.
Tagsüber, wenn es hell war und ich
beladen, so wie jetzt, fragte ich mich, ob ich den Verstand verloren hätte bei
sechsundneunzig Treppenstufen. In der Nacht aber, wenn ich nahe am Himmel lag mit
all seinem Leuchten und Flackern, war die Welt weniger dunkel.
Aber jetzt war es Tag und ich wuchtete
mich mit einer schweren Büchertasche, dem Schuhkarton, in dem meine alten
Sneakers steckten, und der Einkaufstüte nach oben und schimpfte vor mich hin,
dass es dort in der Nacht genauso dunkel war wie überall.
Als ich endlich oben war und mir die
Luft ausblieb, stank es von unten. Ich folgte dem Geruch
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