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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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einleuchtender erscheint es mir.«
    James de Witt verabschiedete sich ebenso charmant und gelassen, wie er gekommen war.
    Dalgliesh fiel auf, daß er bei so einer Vernehmung mit den Verdächtigen eigentlich ganz ähnlich verfuhr wie die Mitglieder eines Auswahlkomitees bei der Kandidatenbefragung. Hier wie dort war man versucht, den Auftritt eines jeden zu taxieren und sich, bevor der nächste Anwärter aufgerufen wurde, ein vorläufiges Urteil zu bilden. Heute wartete er schweigend. Kate mit ihrem sechsten Sinn spürte wieder einmal genau, daß es klüger war, ihre Meinung für sich zu behalten, aber er ahnte auch so, daß ihr zumindest zu Claudia Etienne ein, zwei spitze Bemerkungen auf der Zunge lagen.
    Frances Peverell kam als letzte an die Reihe. Bei ihrem Eintreten wirkte sie fügsam wie ein wohlerzogenes Schulkind, doch als sie Etiennes Jackett entdeckte, das noch immer über seiner Stuhllehne hing, verlor sie die Fassung.
    »Ich hätte nicht gedacht«, stammelte sie, »daß die Jacke noch hier ist.« Sie wollte schon mit ausgestreckter Hand darauf zu, besann sich aber gerade noch. Als sie sich nach Dalgliesh umwandte, sah er, daß ihre Augen in Tränen schwammen.
    »Es tut mir leid«, sagte er. »Vielleicht hätten wir sie wegräumen sollen.«
    »Claudia hätte sie an sich nehmen können«, erwiderte sie, »aber die Ärmste mußte ja an so vieles denken. Über kurz oder lang wird sie sich wohl freilich um all seine Sachen und natürlich auch um die Kleider kümmern müssen.«
    Frances setzte sich und sah Dalgliesh an wie ein Patient, der die Diagnose des Facharztes erwartet. Sie hatte ein sanftes Gesicht, umrahmt von hellbraunem, wie mit Gold gesprenkeltem Haar; der Pony bedeckte die Stirn fast bis zu den geraden Brauen über blaugrünen Augen. Dalgliesh ahnte, daß die Sorge und Anspannung, die sich in Frances’ Blick spiegelten, nicht erst durch das augenblickliche Trauma hervorgerufen worden waren, und unwillkürlich fragte er sich, was Henry Peverell wohl für ein Vater gewesen sein mochte. Die junge Frau, die da vor ihm saß, hatte jedenfalls nichts von der gereizten Ichbezogenheit einer verwöhnten einzigen Tochter. Nein, sie sah aus wie eine Frau, die ihr Leben lang auf die Bedürfnisse anderer Rücksicht genommen hat und die es gewohnt ist, mehr Kritik als Lob zu ernten. Weder hatte sie Claudia Etiennes Selbstbeherrschung noch de Witts ungezwungene Eleganz. Sie trug einen beige und taubenblau gemusterten Tweedrock und dazu ein blaues Twinset, jedoch ohne die obligate Perlenkette. Genauso, dachte Dalgliesh, hätte sie auch schon in den dreißiger oder fünfziger Jahren angezogen sein können; es war gewissermaßen die Uniform der englischen Lady, unauffällig, konventionell, geschmackvoll und entsprechend teuer, vor allem aber so schlicht, daß niemand daran Anstoß nehmen konnte.
    »Ich denke immer«, begann Dalgliesh freundlich, »das muß mit die schlimmste Aufgabe sein, nachdem jemand gestorben ist. Uhren, Schmuck, Bücher, Bilder – die kann man an Freunde verschenken, und jeder wird das schicklich und in Ordnung finden. Aber Kleidungsstücke sind dafür zu intim. Paradoxerweise könnten wir es offenbar nicht ertragen, wenn sie von Bekannten weiterverwendet würden, denn falls wir es über uns bringen, sie wegzugeben, dann höchstens an Fremde.«
    Sie schien dankbar für sein Verständnis und bestätigte eifrig: »Ja, nicht wahr, genauso ist es mir nach Daddys Tod gegangen. Am Ende habe ich all seine Anzüge und die Schuhe der Heilsarmee geschickt. Ich hoffe, sie sind an jemanden weitergereicht worden, der die Sachen wirklich dringend brauchte, aber es war mir damals dennoch so, als würde ich Daddy aus der Wohnung, ja aus meinem Leben drängen.«
    »Haben Sie Gerard Etienne gern gehabt, Miss Peverell?«
    Sie sah erst auf ihre gefalteten Hände nieder, blickte ihn dann aber freimütig an. »Ich war in ihn verliebt. Ich wollte Ihnen das gern selber sagen, denn ich bin sicher, früher oder später hätten Sie es sowieso herausbekommen, und da ist es schon besser, Sie erfahren es von mir. Wir hatten ein Verhältnis, aber eine Woche bevor er sich verlobte, ging es zu Ende.«
    »In gegenseitigem Einverständnis?«
    »O nein.«
    Er brauchte nicht zu fragen, wie dieser Verrat sie getroffen hatte. Was sie empfunden hatte, ja immer noch empfand, stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
    »Es tut mir sehr leid«, sagte er. »Bestimmt ist es nicht leicht für Sie, über seinen Tod zu

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