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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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die Hände eine halbe Minute lang fest im Schoß verschränkt und zwang sich mit äußerster Willensanstrengung, das Zittern zu unterdrücken. Als sie dann tatsächlich loslegte, kam ihr bald die Routine zu Hilfe, und alles war gut. Hin und wieder warf sie Miss Blackett einen verstohlenen Blick zu. Die Frau stand offenbar unter Schock. Das großflächige Gesicht mit den Hamsterbacken und dem kleinen, etwas starren Mund war so bleich, daß Mandy befürchtete, sie werde jeden Moment ohnmächtig vornüber auf die Tastatur sinken.
    Miss Etienne und ihr Bruder waren vor über einer halben Stunde gegangen. Binnen zehn Minuten, nachdem sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, steckte Miss Etienne erneut den Kopf zur Tür herein und sagte: »Ich habe Mrs. Demery gebeten, Ihnen einen Tee zu bringen. Das ist für Sie beide sicher ein Schock gewesen.«
    Der Tee war binnen weniger Minuten gekommen, serviert von einer rothaarigen Frau mit geblümter Schürze, die, als sie das Tablett auf einem Aktenschrank absetzte, ausrief: »Ich darf nichts reden, also werd’ ich den Mund halten. Aber wenn ich Ihnen sage, daß die Polizei eben gekommen ist, dann ist da ja wohl nichts dabei. Ist ganz schön flott gegangen. Bestimmt wollen die jetzt auch Tee haben.« Und dann war sie so eilig abgezogen, als wüßte sie, daß draußen bald mehr los sein würde als hier in dem kleinen Vorzimmer.
    Miss Blacketts Büro war schlecht geschnitten, viel zu schmal für seine Höhe und auf keinen Fall der angemessene Rahmen für den prächtigen Marmorkamin mit der klassischen Einfassung und dem massiven Sims, getragen von den Häuptern zweier Sphinxe. Die häßliche Trennwand, im unteren Drittel aus Holz, darüber mit eingefaßten Milchglasscheiben, halbierte nicht nur eines der schmalbrüstigen Bogenfenster, sondern auch das rautenförmige Deckenornament. Wenn es schon nötig war, dieses schöne große Zimmer zu teilen, dachte Mandy, dann hätte man dabei zumindest mehr Rücksicht auf die Architektur nehmen können, von Miss Blacketts Bequemlichkeit ganz zu schweigen.
    Die jetzige Regelung erweckte den Anschein, als gönne man ihr nicht einmal einen ausreichenden Arbeitsplatz.
    Ein Kuriosum ganz anderer Art war die lange Schlange aus grüngestreiftem Samt, die sich um die Griffe der zwei obersten Fächer des stählernen Aktenschrankes kringelte. Über ihren leuchtenden Knopfaugen thronte ein winziger Zylinder, und die gespaltene Zunge von rotem Flanell hing aus einem leicht geöffneten Maul, das anscheinend mit rosa Seide ausgelegt war. Mandy hatte schon ähnliche Schlangen gesehen; ihre Großmutter hatte zum Beispiel auch so eine gehabt. Sie dienten dazu, die Zugluft abzuwehren, indem man Tür- oder Fensterritzen damit abdichtete. Man konnte aber auch eine Tür damit offenhalten, wenn man die Schlange etwa um beide Klinkenhälften wickelte. Allerdings hätte sie nicht erwartet, so ein albernes Ding, das doch im Grunde eher ein Kinderspielzeug war, ausgerechnet in Innocent House zu finden. Gern hätte sie Miss Blackett danach gefragt, aber Miss Etienne hatte sich Stillschweigen ausbedungen, und Miss Blackett bezog dieses Gesprächsverbot offenbar auf jedes Thema, ausgenommen rein arbeitsbezogene Fragen.
    Minuten verstrichen, ohne daß ein Wort gefallen wäre. Mandy war fast fertig mit ihrem Band, als Miss Blackett aufsah und sagte: »Das dürfte reichen. Ich werde Ihnen noch etwas diktieren. Miss Etienne hat mich gebeten, Ihre Stenographie zu prüfen.«
    Sie nahm einen Verlagskatalog aus ihrer Schreibtischschublade, reichte Mandy einen Notizblock, rückte ihren Stuhl neben sie und begann mit leiser Stimme vorzulesen. Ihre fast blutleeren Lippen bewegten sich dabei kaum. Mandys Finger formten automatisch die vertrauten Kürzel, aber von den vorgestellten Neuerscheinungen aus dem Sachbuchprogramm bekam sie nur wenig mit. Miss Blacketts Stimme geriet von Zeit zu Zeit ins Stocken, und daran merkte Mandy, daß auch sie auf die Geräusche von draußen horchte. Nachdem es anfangs geradezu unheimlich still gewesen war, hörten sie jetzt Schritte, halb und halb erahntes Geflüster und dann lautere, auf dem Marmor widerhallende Schritte, begleitet von selbstsicheren Männerstimmen.
    Miss Blackett, die unverwandt zur Tür sah, sagte tonlos: »Würden Sie mir jetzt bitte vorlesen, was Sie haben?«
    Mandy las ihren stenographierten Text fehlerlos herunter. Abermals herrschte Schweigen. Dann öffnete sich die Tür, und Miss Etienne trat ein. »Die Polizei ist

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