Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
ebenfalls noch am alten Platz. Unter den Exponaten waren das Gebetbuch mit Constance Kents Namenszug auf dem Vorsatzblatt; die Duellpistole mit Steinschloß, mit der Reverend James Hackman angeblich den Mord an Margaret Wray, der Geliebten des Earl of Sandwich, begangen hatte; ein Fläschchen weißen Pulvers, angeblich Arsen, das im Besitz von Major Herbert Armstrong gefunden worden war. Seit Dalgliesh’ letztem Besuch war ein weiteres Souvenir hinzugekommen, das, zusammengerollt und unheimlich wie eine todbringende Schlange, den Ehrenplatz einnahm und auf dem dazugehörigen Hinweisschildchen als Crippens Henkersseil ausgewiesen wurde. Als Dalgliesh sich anschickte, Ackroyd aus der Bibliothek zu folgen, gab er in sanftem Plauderton zu bedenken, daß es barbarisch sei, dieses widerliche Ding öffentlich zur Schau zu stellen, eine Kritik, die Ackroyd ebenso sanft zurückwies.
»Vielleicht könnte man’s eine Spur morbid nennen, aber barbarisch geht denn doch ein bißchen zu weit. Schließlich sind wir hier nicht im Athenaeum. Und ein paar von den älteren Mitgliedern dürfte es ganz guttun, hin und wieder daran erinnert zu werden, wozu ihre früheren beruflichen Aktivitäten in letzter Konsequenz geführt haben. Wären Sie denn noch bei der Polizei, wenn wir die Todesstrafe nicht abgeschafft hätten?«
»Das weiß ich nicht. Aber aus der moralischen Zwickmühle hilft mir persönlich die Abschaffung der Todesstrafe nicht heraus, denn was mich angeht, so wäre mir der Tod lieber als zwanzig Jahre Haft.«
»Aber doch nicht der Tod durch den Strang?«
»Das freilich nicht, nein.«
Ihm war das Erhängen immer besonders grauenvoll erschienen, und er nahm an, den meisten Menschen ging es genauso. Trotz aller Gutachten königlicher Untersuchungskommissionen zum Thema Hinrichtung, die das Erhängen als humane, äußerst rasche und unfehlbare Methode befürworteten, war und blieb es für ihn eines der scheußlichsten Exekutionsverfahren, befrachtet mit Horrorvisionen, die so klar und deutlich waren wie auf einer veritablen Federzeichnung: das Heer Gehängter im Gefolge siegreicher Armeen; die bejammernswerten, halb wahnsinnigen Opfer der Justiz des siebzehnten Jahrhunderts; der gedämpfte Trommelwirbel auf dem Achterdeck eines Schiffes, wo die Marine mit bekannt harter Hand durchgriff und Exempel statuierte; die Frauen, die man im achtzehnten Jahrhundert als Kindsmörderinnen verurteilte; das alberne, gleichwohl aber unheimliche Ritual, dem Richter für die Verkündung des Todesurteils feierlich ein kleines schwarzes Vierecktuch über die Perücke zu breiten; und endlich die täuschend harmlos wirkende Geheimtür, die von der Todeszelle auf jenen letzten kurzen Gang hinausführte. Wie gut, daß all dies der Vergangenheit angehörte. Einen Augenblick lang schien Dalgliesh der Cadaver Club kein so angenehmer Ort zum Mittagessen, und seine Exzentrizität dünkte ihn eher abstoßend als amüsant.
Das kleine Nebenzimmer im Cadaver Club trägt seinen Namen zu Recht: »The Snug« ist wirklich ein sehr behagliches Plätzchen im Souterrain. Es liegt nach hinten, und seine zwei Fenster nebst einer Terrassentür gehen auf einen schmalen, gepflasterten Hof hinaus, der von einer drei Meter hohen, efeubegrünten Mauer begrenzt wird. In diesem Hof hätten bequem drei Tische Platz, aber die Clubmitglieder legen keinen Wert darauf, im Freien zu speisen. Daran ändert auch eine Hitzewelle nichts, wie sie hin und wieder selbst über einen englischen Sommer hereinbricht. Offenbar betrachtet man diese Sitte hier als ausländischen Spleen, unvereinbar mit der gebührenden Würdigung der Speisen oder jener Ungestörtheit, derer ein gutes Tischgespräch bedarf. Und um der Versuchung einzelner Mitglieder, die womöglich doch solch kontinentalem Luxus frönen möchten, vorzubeugen, ist der Hof mit Terrakottakübeln verschiedener Größe bestückt, in denen Geranien und Efeu wuchern. Für weitere Platzbeschränkung sorgt eine riesige Steinkopie des Apoll von Belvedere, der vor der Mauerecke lehnt und dem Club angeblich von einem der ersten Mitglieder gestiftet wurde, nachdem dessen Frau die Statue aus ihrem Garten am Stadtrand verbannt hatte. An diesem Tag standen die Geranien noch in voller Blüte, und die fröhlichen Rosa- und Rottöne, die zum Fenster hereinleuchteten, verstärkten den Eindruck gutbürgerlicher Gastlichkeit, der den Besucher hier stets empfängt. Früher einmal war im »Snug« die Küche untergebracht gewesen, wovon heute noch
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