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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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tun.«
    »Vielleicht. Aber deswegen könnten ihm trotzdem bei einem sehr viel größeren und gefährlicheren Insekt mal die Sicherungen durchbrennen. Na, die Polizei wird ja ohnehin all eure Alibis durchleuchten. Wirklich schade, daß gestern langer Donnerstag war und du zum Einkaufen ins West End gefahren bist, statt gleich von der Arbeit nach Hause zu kommen. Im Liberty oder bei Jaeger wird sich wohl keine Verkäuferin mehr an dich erinnern?«
    »Glaub’ ich nicht, nein. Die Geschäfte waren alle sehr voll, weißt du, und ich hab’ ja auch nichts gekauft, sondern mich eigentlich nur umgesehen.«
    »Der Gedanke, du könntest was damit zu tun haben, ist natürlich lachhaft, aber die Polizei muß halt alle gleich behandeln, zumindest am Anfang. Doch es hat keinen Sinn, sich den Kopf zu zerbrechen, solange wir den genauen Zeitpunkt des Todes noch nicht kennen. Sag, wer hat ihn eigentlich als letzter gesehen? Hat man das schon festgestellt?«
    »Miss Claudia, glaube ich. Sie gehört abends gewöhnlich zu den letzten.«
    »Tja, der allerletzte war aber doch wohl sein Mörder. Ich frage mich, wie er es geschafft hat, sein Opfer ins Archiv raufzulocken. Da oben wird er ja vermutlich gestorben sein. Falls er mit Hissing Sid erdrosselt oder erstickt wurde, dann muß der Mörder ihn zuvor überwältigt und außer Gefecht gesetzt haben. Ein kräftiger junger Mann legt sich schließlich nicht lammfromm hin und läßt sich so mir nichts, dir nichts mit einer Stoffschlange umbringen. Kann natürlich sein, daß er betäubt war. Oder man hat ihn bewußtlos geschlagen, aber so raffiniert, daß er keine Platzwunde davontrug.«
    Mrs. Willoughby, eine eifrige Leserin von Kriminalgeschichten, kannte genügend Mörder, die sich – zumindest in Romanen – glänzend auf diese heikle Prozedur verstanden. »Das Betäubungsmittel«, fuhr sie fort, »hätte man ihm schon in den Nachmittagstee tun können. So was müßte geschmacksfrei sein und besonders langsam wirken. Schwierig. Er kann natürlich auch mit irgend etwas Weichem, das keine Würgemale hinterläßt, erdrosselt worden sein, vielleicht mit einer Strumpfhose oder einem Nylonstrumpf. Ein Strick hätte dem Mörder nichts genützt, dessen Spuren hätte man unter der Schlange ganz deutlich gesehen. Aber soweit ist die Polizei sicher auch schon mit ihren Überlegungen.«
    »Ich bin sicher, Joan, daß die an alles gedacht haben.« Während sie an ihrem Whisky nippte, stellte Blackie verwundert fest, daß Joans brennendes Interesse an dem Mord und ihre Spekulationen darüber etwas seltsam Beruhigendes hatten. Nicht umsonst standen fünf Reihen Taschenbuchkrimis in ihrem Bücherregal im Schlafzimmer: Agatha Christie, Dorothy L. Sayers, Margery Allingham, Ngaio Marsh, Josephine Tey und dann noch die Handvoll moderner Autoren, die ebenfalls mit der Feder mordeten und die Joan für würdig befand, sich neben den Klassikern des Genres einreihen zu dürfen – Vorbilder genug für die Rolle des Meisterdetektivs, in die Joan jetzt mit sichtbarem Vergnügen schlüpfte. Sie hatte freilich auch keinen Grund, sich persönlich betroffen zu fühlen. Sie war schließlich nur ein einziges Mal mit in Innocent House gewesen, vor drei Jahren zu der Weihnachtsfeier für die Verlagsangestellten. Von den Mitarbeitern kannte sie die meisten nur dem Namen nach. Und je mehr Blackie so ins Grübeln kam, desto unwirklicher erschienen ihr langsam die Ereignisse der letzten Tage und ihre furchtbaren Ängste. Das, wovor sie sich bis jetzt so gefürchtet hatte, war auf einmal nur noch eine elegante literarische Spielerei, um die man keine Trauer, keinen Schmerz und keine Reue zu leiden brauchte; Schuldgefühle und Alpträume waren ihres Schreckens beraubt und reduzierten sich auf ein raffiniertes Puzzlespiel. Blackie starrte in die lodernden Flammen, und plötzlich war ihr, als trete Miss Marples Bild daraus hervor. Schützend hielt sie die Handtasche vor den Busen gepreßt, und ihre freundlichen, weisen alten Augen, die sie ganz fest anblickten, versicherten ihr, daß sie keine Angst zu haben brauchte, ja, daß alles gut werden würde.
    Kaminfeuer und Whisky wirkten einschläfernd, und die Theorien ihrer Cousine, die sie nur noch in Bruchstücken wahrnahm, schienen von ganz weit her zu kommen. Wenn sie nicht bald mit dem Abendessen anfingen, würde sie vorher glatt einschlafen. Mühsam rappelte sie sich auf und fragte: »Meinst du nicht, es wird allmählich Zeit fürs Dinner?«

30
    Sie hatten sich um sechs Uhr

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