Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
Alles, worauf sie sich später besinnen konnte, war der Anblick, der sich ihr bot, als sie am Gartentor vorfuhr. In fassungslosem Entsetzen starrte sie auf den im herbstlichen Sonnenschein vor ihr liegenden Garten oder vielmehr auf dieses trostlose, geschändete, aufgewühlte, zerstampfte, zuschanden gemachte Erdreich. Im ersten Moment dachte sie, benommen vom Schock und verwirrt durch die Erinnerung an die schrecklichen Unwetter früherer Jahre, Weaver’s Cottage müsse von einem rätselhaften, auf ein ganz kleines Gebiet beschränkten Tornado heimgesucht worden sein. Doch rasch erkannte sie ihren Irrtum. Diese Verwüstung, die zugleich mutwilliger, aber auch geringfügiger war als das, was ein Sturm angerichtet hätte, diese Verwüstung war das Werk von Menschenhand.
Als sie aus dem Wagen stieg, schienen ihre Beine nicht mehr zu ihrem Körper zu gehören, und kaum war sie zitternd bis ans Tor gestakst, mußte sie sich Halt suchend anlehnen. Und jetzt sah sie, was geschehen war. Der Zierkirsche rechts vom Tor, deren herbstliche Laubpalette heute morgen noch leuchtendrote und gelbe Farbtupfer gesetzt hatte, waren sämtliche unteren Äste abgehackt worden, und hinter den herabhängenden Rindenfetzen klaffte das blanke Holz wie eine offene Wunde. Der Maulbeerbaum inmitten des Rosenrondells, Joans ganzer Stolz, war ähnlich mißhandelt worden, und die zerschmetterte weiße Lattenbank, die rings um den Stamm verlief, sah aus, als hätten ein paar Knobelbecher mit Gewalt darauf herumgetrampelt. Die Rosenbüsche waren zwar heil geblieben (vielleicht hatten ihre Dornen sie geschützt), aber dafür hatte man die Stöcke samt den Wurzeln ausgerissen und auf einem Haufen zusammengeworfen, und die frühen Herbstastern und Chrysanthemen, die Joan als farbige Auflockerung vor der dunklen Hecke geplant hatte, lagen geköpft über den Kiesweg verstreut. Die Rose über der Veranda hatte den Wandalen getrotzt, doch dafür hatten sie sowohl die Klematis als auch die Glyzinie abgerissen, so daß die Fassade des Cottages jetzt seltsam nackt und wehrlos wirkte.
Das Haus war leer. Blackie ging von Zimmer zu Zimmer und rief immer wieder Joans Namen, auch als längst feststand, daß ihre Cousine nicht daheim war. Sie spürte schon die ersten Anzeichen wirklicher Panik in sich aufsteigen, als sie das Gartentor schlagen hörte und gleich darauf sah, wie Joan ihr Fahrrad über den Kiesweg schob. Blackie rannte ihr bis vors Haus entgegen und rief aufgeregt: »Was ist denn nur passiert, um Gottes willen? Ist dir auch nichts geschehen?«
Ihre Cousine schien sich überhaupt nicht darüber zu wundern, daß Blackie Stunden vor ihrer üblichen Zeit nach Hause gekommen war. Sie sagte erbittert: »Du siehst ja, was passiert ist. Rowdys! Zu viert waren sie, mit Motorrädern. Beinahe hätte ich sie noch erwischt. Sie wollten nämlich gerade abhauen, als ich aus dem Dorf zurückkam, aber bevor ich mir die Nummern einprägen konnte, waren sie weg.«
»Aber du hast doch die Polizei verständigt?«
»Ja, sicher. Aber die kommen von East Marling rüber und lassen sich natürlich Zeit. Hätten wir noch unseren alten Dorfpolizisten, dann wäre das nicht passiert. Andererseits – wozu sollte die Polizei sich beeilen? Sie kriegen diese Mistkerle ja sowieso nicht. Das schafft keiner. Und wenn man sie doch mal erwischt, was blüht ihnen dann? ’ne kleine Geldbuße oder eine Bewährungsstrafe. Mein Gott, wenn die Polizei uns schon nicht richtig schützen kann, dann sollte man uns wenigstens erlauben, selber durchzugreifen. Ach, hätte ich doch bloß ein Gewehr!«
»Aber man kann doch keinen Menschen erschießen, bloß weil er einem den Garten verwüstet hat«, wandte Blackie ein.
»Kann man nicht? Ich könnt’s schon.«
Als sie hineingingen, stellte Blackie ebenso verwundert wie verlegen fest, daß Joan geweint hatte. Die Anzeichen waren unverkennbar: Ihre Augen, die unnatürlich klein und leblos wirkten, waren noch immer gerötet, das Gesicht war verquollen, und auf dem ungesunden aschgrauen Teint brannten grellrote Flecken. Gegen solch rohe, sinnlose Brutalität waren selbst Joans gewohnte Ruhe und ihr Gleichmut machtlos. Sogar einen Angriff auf die eigene Person hätte sie da noch leichter weggesteckt. Doch inzwischen war der Zorn an die Stelle des Schmerzes getreten, und Joans Zorn war gewaltig.
»Ich hab’ mich rasch mal unten im Dorf umgesehen, um festzustellen, was diese Burschen sonst noch angestellt haben. War aber anscheinend nicht viel. Sie
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