Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
sich nicht zu bedanken. Ich habe nur der Vernunft gehorcht. Kein Grund, sich mir verpflichtet zu fühlen; ich habe Ihnen keinen Gefallen getan, nur den gesunden Menschenverstand walten lassen, sonst nichts. Wenn die Polizei ihre Zeit damit vergeudet, Unschuldige zu verdächtigen, dann verspielt sie die Chance, den wahren Schuldigen zu fassen. Und ich verlasse mich nicht mehr so vertrauensvoll darauf wie früher, daß die Polizei keine Fehler macht.«
Bartrum erkühnte sich zu fragen: »Und daran liegt Ihnen? Sie wollen, daß man den Schuldigen faßt?«
»Ich will, daß sie herausfinden, wer Gerard diese Schmach mit der Schlange angetan hat. Das war eine Abscheulichkeit, eine Entweihung des Todes. Im übrigen ist es mir natürlich lieber, die Schuldigen werden überführt und die Unschuldigen gerächt. Vermutlich wünschen sich das die meisten von uns, denn das verstehen wir schließlich unter Gerechtigkeit. Aber persönlich empöre ich mich nicht über Gerards Tod oder den irgendeines anderen, heute nicht mehr. Ich bezweifle sogar, ob ich noch imstande bin, mich für irgend etwas emotional zu engagieren. Ich habe ihn nicht umgebracht; mein Quantum Töten habe ich sattsam erfüllt. Ich weiß auch nicht, wer es getan hat, aber dieser Mörder und ich, wir haben eines gemeinsam. Wir brauchten unserem Opfer nicht in die Augen zu sehen. Und ein Mörder, der sich nicht einmal der Realität dessen, was er getan hat, stellen muß, ist besonders unehrenhaft.«
Da rang Bartrum sich auch noch zu der letzten Demütigung durch: »Meine Stelle, Mr. Dauntsey – glauben Sie, daß ich sie jetzt behalten kann? Das ist sehr, sehr wichtig für mich. Sie wissen nicht zufällig, was Miss Etienne für Pläne hat – oder meinetwegen auch die anderen Gesellschafter? Ich weiß, daß Veränderungen unumgänglich sind. Ich könnte mich umschulen lassen, wenn Sie das für nötig halten. Und es macht mir auch nichts aus, wenn Sie mir jemanden vor die Nase setzen, der besser qualifiziert ist. Ich wäre auch als Untergebener loyal.« Und erbittert setzte er hinzu: »Mr. Gerard meinte sowieso, das wäre alles, wozu ich tauge.«
»Ich weiß nicht, wie man entscheiden wird«, sagte Dauntsey, »aber ich denke, im nächsten halben Jahr werden keine größeren Veränderungen ins Haus stehen. Und solange ich ein Wort mitzureden habe, brauchen Sie sich um Ihre Stellung keine Sorgen zu machen.«
Dann hatten sie kehrtgemacht und waren gemeinsam, aber schweigend zurück in die Seitenstraße gegangen, wo beide ihren Wagen abgestellt hatten.
31
Das Haus, das Sydney und Julie Bartrum sich ausgesucht hatten und dessen Kauf er mit der höchstmöglichen Hypothek betrieb, stand unweit vom U-Bahnhof Buckhurst Hill an einer ansteigenden, schmalen Straße, die eher einem Feldweg als einer Vorstadtgasse glich. Es war ein typisches Haus aus den dreißiger Jahren mit Erkerfenster und Veranda zur Straßenseite hin und einem kleinen Garten dahinter. Die Einrichtung hatten Sydney und Julie Stück für Stück gemeinsam ausgewählt; aus ihrer Vergangenheit hatten beide nichts mitgebracht, außer ihren Erinnerungen. Es war dieses Heim, diese schwer erkämpfte Sicherheit, die Gerard Etienne – zusammen mit so vielem anderen – bedroht hatte. Doch wenn Sydney mit zweiundfünfzig die Stelle verlor, welche Hoffnung bestand dann noch auf einen Posten mit vergleichbarem Gehalt? Seine Rücklage würde von Monat zu Monat dahinschrumpfen, bis sogar die Tilgung der Hypothek eine unüberwindliche Hürde darstellte.
Julie kam aus der Küche, sowie sie seinen Schlüssel in der Tür hörte. Wie immer streckte sie ihm beide Arme entgegen und küßte ihn auf die Wange, aber heute abend waren ihre Arme verkrampft, und sie klammerte sich fast verzweifelt an ihn.
»Darling, was ist passiert? Sag, was ist los? Ich habe mich nicht getraut, dich anzurufen. Du sagtest ja extra, ich soll nicht telefonieren.«
»Nein, das wäre nicht klug gewesen. Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Darling. Es wird alles gut werden.«
»Aber du hast doch gesagt, Mr. Etienne ist tot. Ermordet.«
»Komm ins Wohnzimmer, Julie, dann werde ich dir alles erzählen.«
Sie saß sehr dicht neben ihm und verhielt sich ganz still, während er sprach. Hinterher sagte sie: »Aber die können doch nicht glauben, daß du etwas damit zu tun hast, Darling. Ich meine, das ist doch lächerlich, einfach töricht ist das. Du würdest keiner Menschenseele etwas zuleide tun. Du bist so gut und lieb und freundlich.
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