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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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wirklich die absolute, die endgültige Gleichheit aller Menschen. Für Marcus und Len kam es nicht darauf an, wie viele berühmte Ärzte sich um das Sterbebett gedrängt hatten oder wie prächtig die anschließende Beerdigungsfeier inszeniert werden würde; für sie zählte nur der Verwesungszustand der Leiche, und ob man für sie Platz im Kühlschrank für Fettleibige würde schaffen müssen.
    Der Aluminiumeinsatz der Bahre war mit dem jetzt nackten Leichnam auf den Boden gestellt worden, um dem Fotografen leichteren Zugang von allen Seiten zu verschaffen. Als er mit einem Nicken andeutete, daß er mit den ersten Aufnahmen zufrieden sei, drehten Len und Marcus den Toten vorsichtig, damit die Schlange nicht verrutschte, auf den Bauch. Sobald er wieder mit dem Gesicht nach oben lag, wurde der Aluminiumeinsatz auf die Stützböcke am Fuß des Seziertisches gehoben und so ausgerichtet, daß das runde Loch genau über dem Abfluß saß. Doc Wardle begann seine Untersuchung wie üblich mit dem Rumpf und wandte sich dann dem Kopf zu. Er zog den Klebestreifen ab, entfernte die Schlange so vorsichtig, als handele es sich um eine biologische Spezies von außerordentlichem Interesse, und schickte sich an, den Mund zu untersuchen; Dalgliesh mußte an einen verzückten Zahnarzt denken, so sehr war er in seinem Element. Dalgliesh erinnerte sich, was Kate Miskin ihm damals gestanden hatte, als sie neu in seinem Team war und es ihr noch leichter fiel, sich ihm spontan anzuvertrauen. Just dieses Stadium der Autopsie – und nicht das spätere systematische Entfernen und Wiegen der wichtigsten inneren Organe – sei es, bei dem ihr leicht schlecht würde, hatte sie gesagt. Sie habe dabei nämlich immer das Gefühl, die toten Nerven seien bloß vorübergehend stillgelegt und könnten immer noch, wie früher im Leben, auf die behandschuhten, tastenden Finger reagieren. Dalgliesh wußte, daß Kate in diesem Moment gleich hinter ihm stand, aber er sah sich nicht nach ihr um. Er konnte sicher sein, daß sie nicht ohnmächtig werden würde, weder jetzt noch später, aber er ahnte doch, daß sie gleich ihm mehr als nur berufliches Interesse an der Zerstückelung dessen empfand, was vor kurzem noch ein gesunder junger Mann gewesen war – und wieder einmal erfüllte es ihn mit schmerzlichem Bedauern, daß der Polizeidienst Unschuld und Güte soviel abverlangte.
    Plötzlich ließ Doc Wardle ein leises Ächzen hören, das eher schon ein Knurren war – seine ihm eigene Art zu vermelden, daß er auf etwas Interessantes gestoßen war.
    »Sehen Sie sich das mal an, Adam. Da, am Gaumen. Eindeutig ein Kratzer. Wie’s aussieht, post mortem zugefügt.«
    Am Tatort hatte es noch »Commander« geheißen, aber hier, wo Wardle das Terrain beherrschte und sich, wie immer bei der Arbeit, frei und ungezwungen fühlte, nannte er Dalgliesh wieder beim Vornamen.
    Dalgliesh bückte sich. »Sieht aus, als ob etwas Scharfkantiges mit Gewalt in den Mund hineingepreßt oder herausgerissen worden wäre«, sagte er. »Nach der Form der Schramme zu urteilen, würde ich eher auf letzteres tippen.«
    »Ist natürlich schwer, da hundert Prozent sicherzugehen, aber dem Augenschein nach bin ich auch der Meinung. Der Kratzer verläuft vom Gaumen fast bis vor zur oberen Zahnreihe.« Doc Wardle trat beiseite, damit auch Kate und Daniel die Verletzung der Mundhöhle begutachten konnten. »Der genaue Zeitpunkt ist natürlich unmöglich festzustellen«, fuhr er fort, »aber Etienne war da auf alle Fälle schon tot. Er könnte sich das Ding – was immer es war – eventuell noch selbst in den Mund gesteckt haben, aber rausgezogen hat’s mit Sicherheit ein anderer.«
    »Und das mit ziemlicher Gewalt«, bekräftigte Dalgliesh, »und womöglich auch in großer Eile. Wäre der Gegenstand entfernt worden, bevor die Leichenstarre einsetzte, dann hätte sich das rascher und leichter bewerkstelligen lassen. Wieviel Kraft wäre nötig, um die Kiefer auseinanderzustemmen, nachdem die Totenstarre eingetreten ist?«
    »So schwer ist das auch wieder nicht. Gesetzt den Fall, der Mund stand ein wenig offen, so daß der Täter die Finger hineinstecken und womöglich beide Hände benutzen konnte, wäre es sogar relativ leicht gewesen. Ein Kind würde es zwar nicht fertigkriegen, aber Sie suchen ja auch nicht nach einem Kind.«
    »Falls ihm die Schlange in den Mund gesteckt wurde, gleich nachdem der scharfe Gegenstand entfernt war, und wenn das kurz nach Eintritt des Todes stattfand«, sagte

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