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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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mit Daniel zusammentreffen.

33
    Das städtische Leichenschauhaus war vor kurzem modernisiert worden, wobei man allerdings die Fassade unverändert belassen hatte. Es war ein einstöckiges Gebäude aus grauem Londoner Backstein, das man über eine kurze Sackgasse erreichte und dessen Vorhof von einer knapp zweieinhalb Meter hohen Mauer umschlossen wurde. Kein Hinweisschild verriet seine Funktion; wer hier zu tun hatte, kannte sich aus. Neugierige, aber ahnungslose Passanten hätten freilich leicht den Eindruck gewinnen können, hinter der schlichten Fassade müsse irgendein unspektakuläres, nicht eben florierendes Unternehmen angesiedelt sein, dessen Waren in neutralen Transportern geliefert und diskret entladen wurden. Rechts vom Eingang befand sich eine Garage, die zwei Leichenwagen Platz bot und von der eine Doppeltür in ein kleines Vestibül nebst Warteraum zur Linken führte. Als Dalgliesh eine Minute vor halb sieben dort eintraf, warteten Kate und Daniel schon auf ihn. Man hatte versucht, den Warteraum halbwegs einladend zu gestalten, indem man ihn mit einem niedrigen runden Tisch und vier bequemen Sesseln ausstattete sowie mit einem großen Fernsehapparat, der nach Dalgliesh’ Erfahrung ununterbrochen lief. Vielleicht war er allerdings auch weniger zur Unterhaltung als für therapeutische Zwecke bestimmt. Das Laborpersonal brauchte sicher eine Möglichkeit, in den kurzen, unregelmäßigen Pausen die stumme Zersetzung des Todes gegen die heiteren, flüchtigen Bilder der lebenden Welt eintauschen zu können.
    Dalgliesh sah, daß Kate ihren gewohnten Tweedblazer nebst passender Hose mit einem Jeansanzug vertauscht und eine hohe Jockeymütze über ihren dicken blonden Zopf gestülpt hatte. Er wußte, warum. Auch er war leger gekleidet. Der teils süße, teils zitrusartige Geruch, den man nach der ersten halben Stunde fast nicht mehr wahrnahm, blieb gleichwohl tagelang in den Kleidern haften und durchdrang auch die übrige Garderobe mit dem Geruch des Todes. Er hatte schon bald gelernt, hier nichts zu tragen, was man nicht hinterher sofort in die Waschmaschine werfen konnte, während er selbst jedesmal ausgiebig duschte und sein Gesicht länger als gewöhnlich unter den voll aufgedrehten Strahl hielt, als könne das schiere Prickeln des Wassers auf der Haut mehr fortspülen als die Gerüche und visuellen Eindrücke der letzten Stunden. Um acht Uhr war er im Büro des Innenministers im Unterhaus mit dem Commissioner verabredet. Irgendwie mußte er es einrichten, vorher noch in seiner Wohnung in Queenhithe vorbeizufahren und zu duschen.
    Er erinnerte sich noch lebhaft – wie könnte er auch anders? – an die erste Autopsie, der er als junger Kriminalbeamter beigewohnt hatte.
    Das Mordopfer war eine zweiundzwanzigjährige Prostituierte gewesen, und er entsann sich, daß es Probleme mit der Identifizierung der Leiche gegeben hatte, weil die Polizei weder Angehörige noch enge Freunde der Toten ausfindig machen konnte. Als der weiße, unterernährte Körper da auf dem Tisch gelegen hatte, mit den Peitschenstriemen so dunkelrot wie Stigmata, war er ihm in seiner bleichen Kälte vorgekommen wie das Sinnbild männlicher Brutalität. Und als er sich in dem überfüllten Saal umgesehen und die Phalanx von Polizeibeamten registriert hatte, die der Obduktion beiwohnten, war ihm unwillkürlich der Gedanke gekommen, daß dieser Theresa Burns im Tode sehr viel mehr Aufmerksamkeit seitens des Staates zuteil wurde als zu Lebzeiten. Der Pathologe war damals Doc McGregor gewesen, ein eingefleischter Individualist und strenger Presbyterianer, der darauf bestanden hatte, all seine Autopsien, wenn schon nicht in geweihter Umgebung, so doch zumindest in deren spiritueller Aura vorzunehmen. Dalgliesh erinnerte sich, wie der Doktor einmal einen Laboranten getadelt hatte, der die geistreiche Bemerkung eines Kollegen mit kurzem Gelächter quittierte. »Ich dulde nicht, daß in meinem Obduktionssaal gelacht wird. Schließlich seziere ich hier keinen Frosch.«
    Doc McGregor duldete bei der Arbeit auch keine profane Musik, sondern hatte eine Vorliebe für Psalmengesänge, deren elegisches Timbre sowohl das Arbeitstempo verlangsamte als auch die Gemüter beschwerte. Aber es war eine von McGregors Obduktionen gewesen – die eines ermordeten Kindes, begleitet von Faurés Piejesu –, die Dalgliesh eins seiner besten Gedichte eingegeben hatte, und dafür sollte er vermutlich dankbar sein. Wardle kümmerte es nicht weiter, welche Musik bei der

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