Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
sollen? Es war doch gar nicht kalt an dem Abend. Und wo sind diese Papiere, die ihn so fasziniert haben? Auf dem Tisch lagen bloß alte Verträge von vor fünfzig Jahren, mit Autoren, die längst tot und vergessen sind. Warum hätte er sich für die plötzlich wieder interessieren sollen?«
»Ach, die Akten hat eben auch dieser Witzbold vertauscht. Wir haben doch keine Ahnung, was Etienne wirklich nachgeschlagen hat.«
»Aber warum hätte der Saboteur die Ordner vertauschen sollen? Und außerdem, wenn Etienne wirklich ins Archiv ging, um zu arbeiten, wo hatte er dann seinen Füller, einen Bleistift oder Kuli?«
»Er wollte lesen, nicht schreiben, da brauchte er keinen Stift.«
»Aber selbst wenn er gewollt hätte – er konnte gar nicht schreiben, stimmt’s? Er hatte nichts bei sich. Jemand hatte seinen Terminkalender mitsamt dem dazugehörigen Stift geklaut. Und er hätte nicht mal den Namen seines Killers in den Staub schreiben können, weil nämlich auch kein Staub da war. Ach, und was ist mit dem Kratzer an seinem Gaumen? Das ist doch ein Beweis, konkret, unwiderlegbar.«
»Der sich aber wieder mit niemandem in Verbindung bringen läßt. Und solange wir das Ding nicht haben, von dem die Schramme stammt, werden wir auch nicht beweisen können, wodurch sie entstand. Aber wir haben das verfluchte Ding nicht und werden es vielleicht auch nie finden. Alles, was wir haben, sind Indizien und Verdachtsmomente. Das reicht nicht mal, um einen der Verdächtigen observieren zu lassen. Können Sie sich vorstellen, was das für einen Aufschrei gäbe, wenn wir’s trotzdem versuchen würden? Fünf unbescholtene Bürger, alle noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, und zwei von ihnen haben obendrein ein Alibi.«
»Das aber in beiden Fällen nichts wert ist. Rupert Farlow hat unumwunden zugegeben, daß er schwören würde, de Witt sei bei ihm gewesen, auch wenn das nicht wahr ist. Und hat er sich nicht verdächtig viel Mühe gegeben, uns die genauen Zeitangaben für die Pflegedienste zu liefern, die de Witt ihm angeblich während der Nacht geleistet hat?«
»Ich nehme an, ein Sterbender achtet mehr auf die Zeit.«
»Und Claudia Etienne behauptet, sie sei bei ihrem Verlobten gewesen. Der aber wird nun eine sehr reiche Frau kriegen, bei weitem reicher, als sie noch vor einer Woche war. Glauben Sie, dem würde es was ausmachen, für sie zu lügen, wenn sie ihn drum bittet?«
»Okay«, sagte Daniel, »es ist leicht, die Alibis anzuzweifeln, aber können wir sie auch entkräften? Außerdem könnten die beiden ja auch die Wahrheit sagen. Wir dürfen nicht einfach davon ausgehen, daß sie lügen. Und wenn die Alibis stimmen, dann sind Claudia Etienne und de Witt schon mal aus dem Schneider. Was uns wieder zu Gabriel Dauntsey bringt. Er hatte ausreichend Gelegenheit, und er hat für die halbe Stunde, bevor er zu seiner Lesung fuhr, kein Alibi.«
»Aber das gilt für Frances Peverell genauso«, wandte Kate ein. »Und sie hat obendrein noch ein Motiv. Etienne hat sie wegen einer anderen sitzenlassen und war drauf und dran, Innocent House gegen ihren Willen zu verkaufen. Sie hatte doch mehr Grund, ihm den Tod zu wünschen, als jeder andere. Und versuchen Sie mal, den Geschworenen unterzujubeln, daß ein Sechsundsiebzigjähriger mit Rheuma es in nur acht Minuten geschafft hat, die vielen Treppen raufzukommen oder mit diesem langsamen Lift hochzuzockeln, im kleinen Archiv alles Notwendige zu erledigen und wieder in seine Wohnung zurückzukehren! Ja, ich weiß, Robbins hat’s probiert, und es hat gerade mal hingehauen, aber wenn er noch hätte runtergehen und die Schlange holen müssen, dann wär’s garantiert schiefgegangen.«
»Wir haben nur Frances Peverells Aussage als Anhaltspunkt dafür, daß zwischen Dauntseys beiden Anrufen bloß acht Minuten lagen. Und die beiden könnten schließlich unter einer Decke stecken. Die Möglichkeit haben wir doch schon lange im Hinterkopf. Und die Geschichte mit dem ablaufenden Badewasser ist keinen Pfifferling wert. Ich hab’ mir die Wanne angesehen, Kate. Das ist eine von diesen altmodischen, soliden, in denen man glatt zwei ausgewachsene Menschen ertränken könnte. Dauntsey hätte nichts weiter zu tun brauchen, als den Hahn ein kleines bißchen aufzudrehen, damit die Wanne während seiner Abwesenheit langsam vollaufen konnte. Sowie er zurück ist, taucht er kurz rein, damit er auch wirklich wie frisch gebadet wirkt, und ruft Frances Peverell an. Aber ich tippe eigentlich mehr
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