Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
sie Gott weiß wie viele Jahre im Todestrakt gesessen hatten.«
»Ja, das hab’ ich gesehen. Man könnte immerhin sagen, daß diese Verurteilten ein weitaus leichteres Ende hatten als ihre Opfer. Leichter, als es den meisten Menschen zuteil wird, wenn man’s recht bedenkt.«
»Reichlich zynisch, was Sie da sagen. Sie billigen also den Tod als Vergeltungsakt?«
»Daniel, das hab’ ich nicht gesagt. Ich konnte bloß mit den Typen, die in dem Film gezeigt wurden, nicht viel Mitleid empfinden. Erst morden sie in einem Staat, in dem nun mal die Todesstrafe gilt, und dann beschweren sie sich, daß dieser Staat das von seinen Bürgern bejahte Gesetz auch anwenden will. Und noch was: Nicht einer von denen hat sein Opfer erwähnt. Keiner hat auch nur das Wort ›Reue‹ in den Mund genommen.«
»Doch, einer schon.«
»Dann muß ich das gerade verpaßt haben.«
»Aber nicht bloß das allein.«
»Wollen Sie jetzt Streit anfangen?«
»Ich versuche bloß rauszukriegen, was Sie wirklich glauben.«
»Mein Glaube geht nur mich was an.«
»Selbst da, wo er auch die Dienstauffassung tangiert?«
»Da ganz besonders. Und außerdem betrifft so was wie dieser Film unsere Dienstauffassung, wenn überhaupt, dann höchstens indirekt. Die Sendung war doch auf Provokation aus. Ich sollte als Zuschauer empört reagieren. Zugegeben, es war gut gemacht. Sie haben ihre Message nicht ausgewalzt, und man kann auch nicht sagen, daß die Berichterstattung unfair war. Aber am Ende haben sie eine Telefonnummer eingeblendet, damit die Zuschauer anrufen und ihre Entrüstung loswerden konnten. Ich sage nur, daß ich nicht gar so entrüstet war, wie die Produzenten sich das offenbar erhofft hatten. Aber ich mag sowieso keine Fernsehprogramme, die mir meine erwünschten Reaktionen gleich mitliefern wollen.«
»In dem Fall sollten Sie in Zukunft bei Dokumentarfilmen lieber gleich ausschalten.«
Ein Polizeiboot kam in Sicht, eine schnittige, schnelle Jacht, die stromaufwärts mit ihrem Suchscheinwerfer die Dunkelheit durchschnitt und weißschäumenden Gischt im Kielwasser führte. Schon im nächsten Augenblick war das Boot wieder verschwunden, und der hohe Wellengang flaute langsam ab, bis nur noch eine sanft bewegte, dunkle Wasserfläche übrigblieb, in der sich die Lichter der Uferkneipen wie schimmernde Silberlachen spiegelten. Vereinzelte Schaumblasen taumelten noch aus dem Dunkel und zerplatzten an der Kaimauer. Auf einmal war es ganz still. Sie standen etwa einen halben Meter voneinander entfernt und schauten beide auf die Themse hinaus. Dann wandten sie sich fast gleichzeitig um, und ihre Blicke trafen sich. Das Licht der einen Lampe reichte nicht aus, um Kate Daniels Gesicht deutlich zu zeigen, aber sie spürte die Kraft, die von ihm ausging, und hörte, wie sein Atem schneller wurde. Und plötzlich überkam sie ein so unbändiges Verlangen, daß sie die Hand ausstrecken und an der Kaimauer Halt suchen mußte, um zu verhindern, daß sie sich ihm einfach an den Hals geworfen hätte.
Er sagte »Kate« und trat einen raschen Schritt auf sie zu, aber sie hatte gespürt, was kam, und wich ihm hastig aus. Es war nur eine kleine, aber unmißverständliche Bewegung. Er fragte sanft: »Was ist denn los, Kate?« Und dann, in süffisantem Ton: »Würde AD es etwa nicht gern sehen?«
»Ich richte mein Privatleben nicht danach aus, was AD mag oder nicht mag.«
Er rührte sie nicht an. Es wäre einfacher, wenn er’s täte, dachte sie und sagte laut: »Ich hab’ gerade einem Mann, den ich liebe, wegen des Berufes den Laufpaß gegeben. Warum sollte ich mir da jetzt für einen, in den ich nicht mal verliebt bin, wieder alles vermasseln?«
»Aber würde es denn der Arbeit in die Quere kommen, egal ob deiner oder meiner?«
»Ach, Daniel, das passiert doch jedesmal, oder?«
Er sagte, halb scherzhaft: »Du hast mir schließlich geraten, umzulernen und auf intelligente Frauen zu fliegen.«
»Aber ich hab’ mich nicht als Schulungsobjekt angeboten.«
Sein leises Lachen löste die Spannung. Sie mochte ihn wahnsinnig gern, nicht zuletzt deshalb, weil er, anders als die meisten Männer, imstande war, einen Korb ohne Bitterkeit wegzustecken. Aber warum hätte es ihm auch was ausmachen sollen? Liebe war schließlich bei ihm genausowenig im Spiel wie bei ihr. Wir sind beide ein bißchen angeknackst, dachte sie, und auch ein wenig einsam, aber das ist trotzdem kein Grund.
Als sie ins Pub zurückgingen, fragte er: »Wenn jetzt statt meiner AD hier bei dir
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