Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
Nase zugeschlagen wurde. Sekunden später war das Auto um die Ecke verschwunden, aber er stand noch lange da und sah ihm nach, als ob es auf einer langen, schnurgeraden Straße führe und er es mit seinen Blicken bis zum Horizont begleiten könnte.
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Die Anlage Mount Eagle Mansions, unweit der Hammersmith Bridge, entpuppte sich als großer viktorianischer Backsteinblock mit dem schäbigen, ungepflegten Hautgout eines Gebäudes, das aufgrund häufigen Besitzerwechsels verwahrlost. Der mächtige, überladene Vorbau im italienischen Stil, an dem der Stuck zu bröckeln begann, paßte so gar nicht zu der schlichten Fassade, ja verlieh dem Block eine Art exzentrischer Zwiespältigkeit, bei der man sich fragte, ob es nun Geldmangel oder fehlende Inspiration war, was den Architekten an der Ausführung seines ursprünglichen Entwurfs gehindert hatte. Nach dem Vorbau zu urteilen, dachte Kate, war es vielleicht so oder so ein Glück. Aber die Bewohner hatten offenbar den Glauben an den Erhalt ihres Zuhauses noch nicht aufgegeben. Die Fenster waren, zumindest im Erdgeschoß, blitzsauber, die Gardinen jeweils akkurat und in schönem Faltenwurf gehängt, und an einigen Fenstersimsen waren Blumenkästen montiert, aus denen Efeu und Hängegeranien über die verstaubten Backsteine quollen. Briefkasten und Türklopfer in Form eines gewaltigen Löwenhauptes waren auf Hochglanz poliert, und in die Borsten der offenbar nagelneuen Fußmatte war der Name »Mount Eagle Mansions« eingeflochten. Rechts von der Tür befand sich ein Klingelbrett mit Namensschildchen. In dem Schlitz zu Apartment 27 steckte eine ausgeschnittene Visitenkarte mit der Aufschrift »Mrs. Esme Carling« in schöner Schnörkelschrift. Bei Apartment 29 stand in großen Druckbuchstaben nur »Reed«. Auf Kates Klingeln meldete sich nach wenigen Sekunden eine Frauenstimme, der man über das Knistern der Gegensprechanlage hinweg deutlich anhörte, daß sie zwischen Widerstreben und Resignation schwankte.
»Na schön, kommen Sie rauf.«
Das Haus hatte keinen Aufzug, obwohl man bei der Größe der mosaikverzierten Eingangshalle annehmen durfte, daß ursprünglich einer eingeplant gewesen war. An einer Wand befanden sich zwei Reihen durchnumerierter Briefkästen, und an der anderen stand ein schwerer Mahagonitisch mit kunstvoll geschnitzten Beinen, auf dem eine Reihe von Wurfsendungen, umadressierten Briefen sowie ein Packen alter, mit Bindfaden zusammengehaltener Zeitungen lagen. All das war schön säuberlich geordnet, und die Schlieren getrockneter Seifenlauge über dem Tisch zeugten davon, daß man zumindest versucht hatte, die Mosaiken zu säubern, auch wenn dadurch am Ende der Schmutz nur um so mehr auffiel. Es roch nach Möbelpolitur und Desinfektionsmittel. Schweigend stiegen Dalgliesh und Kate die Treppen hinauf, vorbei an den massiven Türen mit Guckloch und doppelten Sicherheitsschlössern. Kate spürte, wie sie von Stockwerk zu Stockwerk aufgeregter und auch ein bißchen ängstlicher wurde, und sie fragte sich, ob es dem Mann an ihrer Seite wohl genauso erging. Schließlich hatten sie eine sehr wichtige Vernehmung vor sich. Möglicherweise war, wenn sie diese Treppe wieder herunterkamen, der Fall gelöst.
Kate wunderte sich, daß Esme Carling sich nichts Besseres hatte leisten können als eine Wohnung in diesem heruntergekommenen Block, der so gar nichts hermachte. Das Mount Eagle Mansions war kaum eine prestigeträchtige Adresse, mit der man bei Interviewern oder Journalisten Eindruck schinden konnte, immer vorausgesetzt natürlich, Mrs. Carling hatte derlei Besuch empfangen. Aber das wenige, was sie von ihr wußten, klang nicht nach einsiedlerischer Literatin, und Esme Carling war doch recht bekannt gewesen. Auch Kate, die nie etwas von ihr gelesen hatte, war immerhin der Name ein Begriff, was freilich noch lange nicht garantierte, daß die Autorin auch finanziell erfolgreich gewesen war. Hatte Kate nicht kürzlich erst in irgendeiner Illustrierten gelesen, daß, auch wenn einige wenige sehr erfolgreiche Romanciers Millionäre waren, die Mehrheit der Zunft, darunter durchaus auch sehr geachtete Autoren, Mühe hatten, von ihren Tantiemen zu leben? Aber Esme Carlings Agentin würde ihnen in einer Stunde Rede und Antwort stehen; es hatte also wenig Sinn, sich jetzt den Kopf über das Leben der Kriminalschriftstellerin zu zerbrechen, wenn doch alle Fragen in Kürze von der Person beantwortet werden würden, die vermutlich am besten darüber Bescheid
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