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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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zusammenbringen können. In den wenigen Sekunden, bevor sie das Mädchen ansprach, wurde Kate von den unterschiedlichsten Gefühlen bestürmt, zu denen nicht zuletzt auch Selbstekel gehörte. Denn wenn Dalgliesh instinktiv Mitleid empfunden hatte, fast als ob das Kind verstümmelt wäre, dann war es ihr nicht anders ergangen, und sie war doch eine Frau. Wenigstens sie hätte nach anderen Maßstäben urteilen sollen. Einer Handbewegung der Mutter folgend, setzte Dalgliesh sich aufs Sofa, und Kate nahm auf dem Stuhl Daisy gegenüber Platz. Mrs. Reed warf sich kampflustig in die andere Sofaecke und steckte sich eine Zigarette an.
    »Ich bleibe. Sie werden das Kind nicht ohne mich verhören.«
    »Wir dürfen gar nicht mit Daisy reden, ohne daß Sie dabei sind, Mrs. Reed. Für die Vernehmung Minderjähriger gelten besondere Vorschriften. Es wäre allerdings hilfreich, wenn Sie nicht unterbrechen wollten, solange Sie nicht das Gefühl haben, daß es unfair zugeht.«
    Kate beugte sich zu Daisy über den Tisch und sagte behutsam: »Es tut uns so leid wegen deiner Freundin, Daisy. Mrs. Carling war doch deine Freundin, oder?«
    Daisy schlug eins ihrer Bücher auf und tat so, als würde sie zu lesen anfangen. Ohne aufzublicken, sagte sie: »Sie hatte mich gern.«
    »Na ja, wenn einen jemand gern hat, dann mag man denjenigen normalerweise auch. So geht’s mir wenigstens. Daß Mrs. Carling tot ist, weißt du ja schon. Es kann sein, daß sie sich das Leben genommen hat, aber genau wissen wir das noch nicht. Erst müssen wir herausfinden, wie und warum sie gestorben ist. Und wir möchten, daß du uns dabei hilfst. Willst du das tun?«
    Jetzt sah Daisy zu ihr auf. Die kleinen, beunruhigend intelligenten Augen waren hart wie die eines Erwachsenen, aber so kritisch wertend, wie es nur Kinderaugen sein können. »Mit Ihnen mag ich nicht reden«, sagte sie. »Wenn, dann red’ ich mit Ihrem Boß.« Sie sah zu Dalgliesh hinüber. »Mit dem da tät’ ich reden.«
    »Bitte, mir soll’s recht sein«, sagte Dalgliesh. »Aber es macht keinen Unterschied, mit wem du sprichst, Daisy.«
    Kate war ganz geknickt, versuchte aber, ihren Ärger und ihre Enttäuschung zu verbergen, und erhob sich, um Dalgliesh ihren Platz zu überlassen. Doch der bedeutete ihr mit einem Wink, sitzen zu bleiben, und rückte sich statt dessen einen Stuhl neben den ihren.
    »Sie glauben, daß einer Tante Esme umgebracht hat, stimmt’s?« fragte Daisy. »Was werden Sie mit ihm machen, wenn Sie ihn kriegen?«
    »Wenn das Gericht ihn verurteilt, kommt er ins Gefängnis. Aber wir wissen vorläufig noch gar nicht, ob Mrs. Carling ermordet wurde. Wie Inspector Miskin schon sagte, wir müssen erst rausfinden, warum sie gestorben ist.«
    »Unsere Lehrerin Mrs. Summers sagt, man hilft den Leuten nicht damit, daß man sie ins Gefängnis steckt.«
    »Da hat Mrs. Summers schon recht«, versetzte Dalgliesh. »Aber normalerweise wird ja auch niemand eingesperrt, damit er selbst davon profitiert, sondern es ist halt manchmal einfach notwendig, die übrigen Menschen vor einem Verbrecher zu schützen. Oder man will andere Straftäter abschrecken, oder die Gesellschaft ist furchtbar betroffen über das, was der Schuldige getan hat, und die Strafe spiegelt eben diese Betroffenheit wider.«
    Mein Gott, dachte Kate, sollen wir jetzt unsere Zeit damit zubringen, Sinn und Zweck des Freiheitsentzugs zu diskutieren und über die Philosophie des Strafrechts nachzudenken? Aber Dalgliesh wappnete sich offenbar mit Geduld.
    »Mrs. Summers sagt, die Todesstrafe ist was Barbarisches.«
    »Bei uns gibt es sie ja auch nicht mehr, Daisy.«
    »Aber in Amerika.«
    »Ja, in einigen Staaten der USA gibt es sie noch und auch in anderen Ländern überall auf der Welt, aber in England eben nicht mehr. Ich denke, das weißt du auch, Daisy.«
    Kate hatte den Eindruck, das Kind stelle sich absichtlich quer. Sie hätte gern gewußt, was Daisy sich wohl dabei dachte, abgesehen davon, daß sie natürlich Zeit zu schinden versuchte. Insgeheim verfluchte sie diese Mrs. Summers. Ein paar Pädagogen ihres Schlags hatte sie in der eigenen Schulzeit kennengelernt, allen voran Miss Crighton, die sich mächtig ins Zeug gelegt hatte, um Kate davon abzubringen, daß sie zur Polizei ging, und zwar mit der Begründung, es handle sich dabei um die repressiven, faschistischen Agenten des kapitalistischen Machtapparates. Sie hätte Daisy gern gefragt, was Mrs. Summers wohl mit Mrs. Carlings Mörder täte (so es denn einen gab),

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