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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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wußte.
    Dalgliesh hatte sich entschlossen, die kleine Daisy noch vor dem Besuch in Mrs. Carlings Wohnung zu verhören, und Kate glaubte zu wissen, warum. Die Aussage des Kindes war von größter Wichtigkeit. Was auch immer für Geheimnisse hinter der Tür von Apartment Nummer 27 lauern mochten, sie konnten warten. Der Plunderkram, der vom Leben eines Mordopfers übrigblieb, erzählte seine eigene Geschichte; bei der Interpretation dessen, was die kläglichen Überreste eines Toten, seine Briefe, Rechnungen und dergleichen, als Beweismittel hergaben, mochte man sich irren, aber handfeste Gegenstände konnten nicht lügen, sie frisierten ihre Geschichte nicht und erfanden auch keine Alibis. Doch zuerst galt es, die Lebenden in die Mangel zu nehmen, solange der Schock über den Mord ihnen noch frisch in den Knochen saß. Ein guter Kriminalbeamter respektierte Trauer und Leid, ja teilte sie mitunter sogar, aber er scheute sich trotzdem nie, sie auszunutzen, nicht einmal die eines Kindes.
    Sie waren vor der richtigen Tür angelangt, und bevor sie die Hand auf die Klingel legen konnte, sagte Dalgliesh: »Das Reden übernehmen Sie, Kate.«
    Sie antwortete nur mit einem knappen: »Ja, Sir«, aber ihr Herz tat einen Sprung. Noch vor zwei Jahren hätte sie in einem solchen Moment fast gebetet: »Lieber Gott, laß es mich richtig machen.« Aber mit ihrer jetzigen Erfahrung war sie sich dessen schon sicher.
    Sie hatte keine Zeit darauf verschwendet, sich von der Mutter des Kindes, Shelley Reed, ein Bild zu machen. Bei der Polizeiarbeit tat man gut daran, die Realität nicht schon vorab durch Voreingenommenheit und Phantasie zu verstellen. Aber als die Kette rasselnd zurückgezogen wurde und die Tür aufging, fiel es ihr doch schwer, ihre Überraschung zu verbergen. Es war kaum zu glauben, daß dieses pausbäckige Mädchen, das ihnen mit der Null-Bock-Attitüde eines Teenagers entgegentrat, die Mutter einer Zwölfjährigen sein sollte. Sie konnte kaum älter als sechzehn gewesen sein, als Daisy geboren wurde. Ihr Gesicht hatte, zumindest ungeschminkt so wie jetzt, immer noch etwas Unfertiges, Weiches, Kindliches eben. Der Schmollmund mit den sehr vollen Lippen verzog sich in den Winkeln nach unten. Ihre breite Nase war auf einer Seite mit einem Glitzerpiece geschmückt, der zu den Steckern in ihren kleinen Ohren paßte. Ihre hellblonden Haare, die gegen die kräftigen dunklen Brauen abstachen, umrahmten das Gesicht mit krausen Locken, und der lange Pony reichte fast bis über die Augen – weit auseinanderstehende, schräggestellte Augen, unter Lidern, so schwer, daß sie geschwollen wirkten. Einzig Shelleys Figur zeugte von einer gewissen Reife. Unter der langen, makellos weißen Baumwolljacke zeichneten sich, da sie keinen BH trug, die schweren Brüste deutlich ab; ihre langen, wohlgeformten Beine steckten in schwarzen Strumpfhosen. An den Füßen trug sie mit Lurexfäden durchwirkte Hauspantoffeln. Als sie Dalgliesh erblickte, trat in ihre harten, unnachgiebigen Augen ein Ausdruck argwöhnischen Respekts, als ob sie in ihm eine Autorität erkannte, die hartnäckiger war als die von Sozialarbeitern und Fürsorgerinnen. Und als Shelley Reed sprach, entdeckte Kate hinter der einstudierten Trotzhaltung Anzeichen einer müden Resignation. »Meinetwegen kommen Sie schon rein, auch wenn ich nicht weiß, wozu das gut sein soll. Ihre Knilche haben Daisy ja schon mal in die Mangel genommen. Das Kind hat denen alles gesagt, was sie weiß. Wir haben der Polizei geholfen, und was ist der Dank? Die Scheißwohlfahrt rückt uns auf die Pelle. Was geht’s die an, wie ich mir mein Geld verdiene? Okay, ich strippe. Und, was ist da dran auszusetzen? Ich verdiene genug für mich und mein Kind. Ich hab’ ’nen Job, und legal isses auch, okay? In der Zeitung ziehen sie doch dauernd über alleinerziehende Mütter her, die von der Stütze leben. Na schön, ich nehm’ keinen Pfennig von der Scheißsozialhilfe, aber das kann sich bald ändern, wenn ich nämlich dauernd den ganzen Tag hier rumhängen und saublöde Fragen beantworten muß. Und diese Weiber vom Jugendamt, die wollen wir hier nicht haben, das sag’ ich Ihnen gleich. Die, die der Judentyp letztes Mal dabeihatte, also das war echt ’ne Kuh.«
    Während dieser Begrüßungsrede hatte sie sich nicht vom Fleck gerührt, doch jetzt machte sie endlich widerstrebend einen Schritt zur Seite, und die beiden Beamten betraten einen Flur, der so winzig war, daß sie kaum zu dritt darin Platz

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