Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
Vom Netzwerk:
Kate ihr öffnete, rauschte sie in einem Tempo herein, als ob sie diejenige wäre, die man hatte warten lassen, warf sich in den nächststehenden der beiden Lehnsessel, beugte sich vor, um die Goldkette, an der ihre Tasche hing, von der Schulter zu streifen, und stellte eine prallgefüllte Aktenmappe neben sich auf den Teppich. Dann erst ließ sie sich herab, von Kate oder Dalgliesh Notiz zu nehmen. Doch als es soweit war und ihre Augen Dalgliesh’ Blick begegneten, schien ihre Stimmung plötzlich umzuschlagen, denn ihre ersten Worte hätten nicht verbindlicher sein können.
    »Tut mir leid, daß ich zu spät komme und obendrein noch so in Eile bin, aber Sie wissen ja, wie das ist. Ich mußte erst noch ins Büro, und um Viertel vor eins habe ich schon wieder einen Lunchgast im Ivy. Ist übrigens ’ne ziemlich wichtige Verabredung. Der Autor, mit dem ich mich treffe, ist heute morgen eigens aus New York eingeflogen. Na, und im Büro kommt einem ja immer was dazwischen, sowie man nur den Kopf zur Tür reinsteckt. Heutzutage kann man den Angestellten nicht mal mehr die simpelsten Aufgaben übertragen. Ich hab’ mich trotzdem so schnell wie möglich losgeeist, aber dann ist das Taxi an der Theobald’s Road im Verkehr steckengeblieben. Mein Gott, ist das nicht furchtbar mit der armen Esme? Einfach schrecklich! Was ist denn nun eigentlich passiert? Sie ist ins Wasser gegangen, nicht? Hat sich ertränkt oder aufgehängt oder beides zusammen. Also wenn das nicht krank ist!«
    Nachdem sie dergestalt ihre Empörung zum Ausdruck gebracht hatte, nahm Mrs. Pitt-Cowley eine elegantere Pose ein, zog den Rock ihres schwarzen Kostüms fast bis zum Schritt hoch und enthüllte ein Paar sehr lange, wohlgeformte Beine in so hauchzarten Nylonstrümpfen, daß auf den scharf vorspringenden Knien nicht mehr als ein matter Glanz zu erkennen war. Offenbar hatte sie sich für die Verabredung um Viertel vor eins so in Schale geworfen, und Dalgliesh fragte sich, für welch privilegierten Kunden, sei er potentiell oder auch schon akquiriert, sich ein solch aufwendiger Schick rentieren mochte, der Kompetenz und Professionalität mit sexuellem Anreiz verband. Unter der gutsitzenden Jacke mit den Messingknöpfen trug sie eine hochgeschlossene Seidenbluse. Ein schwarzsamtener Hut, vorn mit einem Goldpfeil durchbohrt, saß modisch zerdrückt auf ihrem hellbraunen Haar, dessen Pony gerade bis zu den dichten geraden Brauen reichte und das ihr ansonsten in glänzend gebürsteten Strähnen fast bis auf die Schultern fiel. Beim Sprechen gestikulierte sie lebhaft mit ihren langen, reichberingten Fingern, die so ruhelos durch die Luft fuhren, als müsse sie mit zwei Gehörlosen kommunizieren. Außerdem zog sie von Zeit zu Zeit, wie von einem plötzlichen Krampf befallen, abrupt die Schultern hoch. Merkwürdigerweise schien zwischen ihren Worten und ihrer Gestik gar kein Zusammenhang zu bestehen, und Dalgliesh hatte den Eindruck, es handele sich bei dieser affektierten Angewohnheit weniger um ein Symptom nervöser Unsicherheit als vielmehr um einen Trick, der ursprünglich wohl dazu gedacht war, die Aufmerksamkeit auf ihre außergewöhnlichen Hände zu lenken, der sich inzwischen aber zu einer Marotte verselbständigt hatte, die sie nicht mehr ablegen konnte. Ihre anfängliche Gereiztheit hatte ihn überrascht. Nach seiner Erfahrung genossen die Statisten in einem sensationellen Mordfall – vorausgesetzt, sie trauerten nicht allzusehr um das Opfer und hatten auch von den Verhören der Polizei nichts zu befürchten – die Aufregung, unversehens mit einem Gewaltverbrechen in Berührung zu kommen, ja sonnten sich in der traurigen Prominenz der Eingeweihten. Er war es gewohnt, in Augen zu blicken, die ihm ein wenig verschämt begegneten, aber dennoch vor Neugier glitzerten. Schlechte Laune und ostentative Konzentration auf die eigenen Angelegenheiten boten da wenigstens einmal Ablenkung.
    Die Agentin sah sich im Zimmer um, und als ihr Blick auf den offenen Schreibtisch und die Stapel Papiere auf dem Tisch fiel, sagte sie: »Mein Gott, wie schrecklich, da sitzt man einfach so in ihrer Wohnung… Und Sie müssen auch noch in ihren Sachen rumschnüffeln. Sie müssen das tun, ich weiß, es ist ja Ihr Beruf, aber ich find’s trotzdem irgendwie unheimlich. Fast hat man das Gefühl, als ob sie jetzt hier präsenter ist als zu Lebzeiten. Ich kann mir nicht helfen, aber ich hab’ dauernd das Gefühl, gleich wird sich ihr Schlüssel im Schloß drehen, sie kommt

Weitere Kostenlose Bücher