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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Schlafzimmer, wo sie sich freilich nicht lange aufhielten. Es war ein großer, überladener Raum, unordentlich und nicht sehr sauber. Auf der Frisierkommode aus den dreißiger Jahren mit dem dreiteiligen Spiegel stand eine Plastikschale mit Veilchenmuster, in der ein ganzer Haufen halbleerer Flaschen mit Hand- und Bodylotions lagen sowie fettige Cremetiegel, Lippenstifte und Augen-Make-up. Kate schraubte geistesabwesend die größte Dose, eine mit Tagescreme, auf und sah die einzelne Delle, die Mrs. Carlings Finger auf der ansonsten makellosen Cremeschicht hinterlassen hatte. Die Spur, so flüchtig sie auch war, wirkte einen Moment lang derart dauerhaft und untilgbar, daß Kate das Bild der Toten wieder lebhaft vor Augen stand und sie, den Tiegel noch in der Hand, erstarrte, als habe man sie beim Eindringen in die Privatsphäre eines Lebenden ertappt. Ihre Augen im Spiegel starrten sie schuldbewußt und auch ein bißchen beschämt an. Sie mußte sich direkt zwingen, an den Schrank zu gehen und ihn aufzumachen. Den raschelnden Kleidern entwich ein Geruch, der sie an frühere Hausdurchsuchungen erinnerte, an andere Opfer, andere Zimmer, den süßsauren, muffigen Geruch von Alter, Versagen und Tod. Rasch klappte sie die Schranktür wieder zu, aber die drei Whiskyflaschen, die zwischen den Schuhen versteckt waren, entgingen ihr trotzdem nicht. Es gibt Momente, dachte sie, in denen hasse ich meinen Beruf. Doch diese Augenblicke waren rar und jedesmal schnell wieder vergessen.
    Das Gästezimmer war eine enge, schlecht geschnittene Zelle mit nur einem einzigen hohen Fenster, das auf eine von jahrzehntealtem Londoner Ruß geschwärzte Brandmauer hinausging, an der über Kreuz massive Abflußrohre hinunterliefen. Aber ein, wenn auch fehlgeschlagener, Versuch, den Raum einladend zu gestalten, war immerhin unternommen worden. Wände und Decken waren mit einer Tapete ausgekleidet, auf der sich Geißblatt, Rosen und Efeu ineinanderrankten. Dazu passend gewählt waren sowohl die Vorhänge mit dem üppigen Faltenwurf als auch die blaßrosa Decke auf dem Diwan unter dem Fenster. Aber alle Verschönerungsversuche und das Bemühen, diesem trostlos kahlen Nichts eine feminine Note aufzuprägen, betonten eigentlich nur die betrüblichen Mängel des Zimmerchens. Die Ausstattung war offensichtlich auf einen weiblichen Gast zugeschnitten, aber Dalgliesh konnte sich nicht vorstellen, daß eine Frau in dieser überladenen, Platzangst fördernden Zelle friedlich schlafen würde. Ein Mann könnte es jedenfalls sicher nicht; dazu war der synthetische Liebreiz des Blumenmusters an der Decke viel zu erdrückend, das Bett zu schmal, und auch der Nachttisch, ein windiges imitiertes Stilmöbel, störte, schon weil es so klein war, daß außer einer Nachttischlampe nichts darauf Platz hatte.
    Mit ihrem Rundgang durch die Wohnung hatten sie keine Zeit vergeudet. Kate erinnerte sich an eine ihrer ersten Lektionen als blutjunge Polizistin: Mache dich mit deinem Opfer vertraut. Jeder, der einem Mord zum Opfer fällt, stirbt dafür, wer, was und wo er zu einem bestimmten Zeitpunkt ist. Je mehr man über das Opfer weiß, desto näher ist man seinem Mörder. Doch als sie sich jetzt an Esme Carlings Schreibtisch setzten, waren sie auf der Suche nach konkreteren Hinweisen.
    Kaum, daß sie eine Schublade aufgezogen hatten, wurden sie auch schon fündig. Der Schreibtisch war ordentlicher und längst nicht so vollgestopft, wie sie erwartet hatten. Auf einem Stoß unbezahlter Rechnungen neueren Datums lagen zwei Blatt Papier. Das erste war offensichtlich der Entwurf für den Abschiedsbrief, den man an der Uferlände vor Innocent House gefunden hatte. Es waren kaum Änderungen festzustellen; Mrs. Carlings endgültige Version wich nur geringfügig ab von ihrem ersten Zornes- und Schmerzenserguß. Aber die Schrift hier war ein kaum leserliches Gekrakel im Vergleich zu der sicheren und ausgewogenen Kalligraphie der Endfassung. Gleichwohl lieferte dieses Blatt den Beweis dafür, falls es denn eines solchen noch bedurfte, daß Esme Carling den Text erdacht und mit eigener Hand geschrieben hatte. Darunter lag ein Briefentwurf in derselben Handschrift, datiert auf Donnerstag, den 14. Oktober.
     
     
    Lieber Gerard,
    eben habe ich den Bescheid durch meine Agentin bekommen. Jawohl, durch meine Agentin! Sie haben also nicht mal den Anstand oder den Mut, es mir direkt zu sagen. Sie hätten mich doch wenigstens zu einem Gespräch in Ihr Büro bitten können, und es wäre

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