Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
Vom Netzwerk:
ist auch wichtig, wichtig für uns beide.«

9
    Gabriel verabschiedete sich von Frances, sobald die Partie zu Ende war, eine Partie, die er mühelos gewonnen hatte. Sie konstatierte mit schlechtem Gewissen, daß er sehr müde aussah, und überlegte, ob er wohl eher aus Mitleid heraufgekommen sei und nicht so sehr, weil er selbst das Bedürfnis nach Gesellschaft hatte. Die Trauerfeier war ihm bestimmt mehr zu Herzen gegangen als seinen vier Mitgesellschaftern, denn er war schließlich der einzige im Verlag gewesen, dem Sonia ein gewisses Maß an Zuneigung entgegenzubringen schien. Frances’ zaghaftes Freundschaftsangebot hatte Sonia stets taktvoll zurückgewiesen, fast als stünde einer Peverell nicht das Recht auf solche Vertraulichkeiten zu. Vielleicht war Gabriel der einzige unter den Partnern, der wirklich um Sonia trauerte.
    Das Schachspiel hatte Frances geistig angeregt, und wenn sie sich jetzt hinlegte, würde sie sich bestimmt die halbe Nacht rastlos im Bett wälzen, zwischendurch immer mal kurz einnicken und am nächsten Morgen noch zerschlagener sein, als wenn sie überhaupt nicht geschlafen hätte. Einer spontanen Eingebung folgend, holte sie ihren warmen Wintermantel aus dem Garderobenschrank, löschte das Licht und trat hinaus auf den Balkon.
    Die Nachtluft duftete kühl und rein, gewürzt mit dem unverwechselbaren Geruch der Themse. Frances fühlte sich emporgehoben, schwebend, fast körperlos und klammerte sich unwillkürlich am Geländer fest. Über der Stadt lagerte ein tiefhängendes Wolkenband, hellrot gefärbt wie eine Mullbinde, vollgesogen mit Londons Blut. Dann teilten sich die Wolken langsam vor ihren Augen, und sie erblickte den klaren schwarz-blauen Nachthimmel und hoch oben einen einzelnen Stern. Wie eine mit Edelsteinen besetzte, metallische Libelle brummte ein Hubschrauber stromaufwärts. So wie sie jetzt hatte ihr Vater Abend für Abend vor dem Zubettgehen hier draußen gestanden. Wenn sie nach dem Essen mit der Küche fertig war und ins Wohnzimmer kam, lag der Raum bis auf eine schwach brennende Lampe im Dunkeln, und sie sah den schwarzen Schatten der stummen, reglosen Gestalt auf dem Balkon stehen und über den Fluß schauen.
    Sie waren 1983 nach Nummer 12 gezogen, als der Verlag sich in einer Phase relativen Aufschwungs vergrößert hatte und man in Innocent House mehr Büroräume benötigte. Die Nummer 12 war langfristig vermietet gewesen, aber der Bewohner war gewissermaßen zum rechten Zeitpunkt gestorben, und so konnte man das Haus umbauen, oben eine Wohnung für sie und ihren Vater einrichten und unten eine kleinere für Gabriel Dauntsey. Ihr Vater hatte den Umzug gelassen hingenommen, ja schien ihn fast zu begrüßen, und sie argwöhnte, daß er erst nachdem sie 1985 nach dem Examen wieder zu ihm gezogen war, anfing, sich beengt zu fühlen und sogar über Platzangst klagte.
    Ihre Mutter, eine von Haus aus zarte Natur, war plötzlich und unerwartet an einer Viruspneumonie gestorben, als Frances fünf Jahre alt war, und danach hatte sie ihre Kindheit allein mit dem Vater und einer Kinderfrau in Innocent House verbracht. Erst als Erwachsene hatte sie erkannt, wie ungewöhnlich diese frühen Jahre gewesen waren, wie wenig das Haus sich als Familienheim eignete, selbst wenn es sich um eine durch den Tod auf zwei Personen, sie und den Vater, geschrumpfte Familie handelte. Frances hatte keine gleichaltrigen Spielgefährten gehabt; nur wenige der stattlichen georgianischen Plätze im East End, die von den Bombenangriffen verschont geblieben waren, hatten sich zu vornehmen Enklaven der betuchten Mittelschicht entwickelt. Frances’ Spielplatz waren die prunkvolle Marmorhalle und die Terrasse, auf der sie aber, trotz des schützenden Geländers, immer beaufsichtigt wurde und weder radfahren noch Ball spielen durfte. Auch die Straßen waren zu gefährlich für ein Kind, und so brachte man sie und Nanny Bostock, ihre Kinderfrau, auf dem Wasserweg (manchmal mit der verlagseigenen Fähre) hinüber nach Greenwich in eine kleine Privatschule, wo mehr Wert auf Etikette gelegt wurde als auf die Förderung kritischer Intelligenz, wo sie aber immerhin ein solides Grundwissen vermittelt bekam. Doch die Fähre wurde an den meisten Tagen gebraucht, um Mitarbeiter vom Themse-Pier abzuholen, und dann fuhr man sie und Nanny Bostock zum Fußgängertunnel in Greenwich, wo sie auf dem unterirdischen Gang aus Sicherheitsgründen jedesmal entweder vom Chauffeur oder von Frances’ Vater begleitet wurden.
    Die

Weitere Kostenlose Bücher