Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
einer der diensthabenden Notdienstschwestern übergeben hatten, hatte er zu ihr gesagt: »Ich finde, jetzt haben wir uns einen Drink verdient. Ich jedenfalls brauche einen. Suchen wir uns ein nettes Pub?«
Sie wußte, daß nichts so rasch zu Vertraulichkeiten führt wie eine miteinander bestandene Gefahr nebst gemeinsam vollbrachter guter Tat und daß es darum vernünftiger wäre, auf Wiedersehen zu sagen und ihrer Wege zu gehen. Trotzdem hatte sie eingewilligt. Als sie sich schließlich voneinander verabschiedeten, wußte sie, wo es enden würde. Aber sie hatte sich Zeit gelassen. Sie hatte noch nie eine Affäre begonnen, ohne sicher zu sein, daß sie in der Beziehung die Oberhand behalten würde, daß sie mehr geliebt würde als sie wiederliebte, eher Leid verursachen als selbst verletzt werden würde. Diesmal war sie sich da nicht so sicher.
Als ihr Verhältnis etwa einen Monat dauerte, hatte er gefragt: »Warum heiraten wir eigentlich nicht?«
Der Vorschlag – als Antrag betrachtete sie ihn eigentlich nicht – kam so überraschend, daß es ihr im ersten Moment die Sprache verschlug. »Was ist?« hakte er nach. »Hältst du das für keine gute Idee?«
Sie stellte fest, daß sie den Vorschlag ernst nahm, obwohl es vielleicht wieder bloß einer jener Einfälle war, mit denen er sie gelegentlich überraschte, ohne zu erwarten, daß sie ihm glaubte, worauf es ihm anscheinend auch gar nicht ankam.
Sie sagte zögernd: »Falls du’s ernst meinst, muß ich dir sagen, daß es eine ganz schlechte Idee wäre.«
»Na schön, dann verloben wir uns. Ich finde eine Dauerverlobung was Schönes.«
»Unlogisch wäre das, weiter nichts.«
»Wieso? Dem alten Simon würde es gefallen. Ich könnte zu ihm sagen: ›Meine Verlobte kommt zu Besuch.‹ Er wäre dann nicht mehr so schockiert, wenn du über Nacht bleibst.«
»Das hat ihn nie auch nur die Spur schockiert. Ich glaube, ihn würde es nicht mal stören, wenn wir’s im Laden treiben, vorausgesetzt, wir würden die Kunden nicht verschrecken und keine Waren beschädigen.«
Trotzdem nannte er sie vor dem alten Simon hin und wieder »meine Verlobte«, und sie sah kaum eine Möglichkeit, dagegen Einspruch zu erheben, ohne sie beide lächerlich zu machen oder dem Ganzen mehr Bedeutung zuzumessen, als es verdiente.
Er sprach nicht mehr vom Heiraten, aber sie mußte beunruhigt feststellen, daß sich der Gedanke bei ihr festgesetzt hatte.
Als sie an diesem Abend vom Krematorium kam, hatte sie Mr. Simon begrüßt und war dann gleich hinauf ins Hinterzimmer gegangen. Declan war gerade mit einer Miniatur beschäftigt. Sie beobachtete ihn gern im Umgang mit dem Objekt seiner jeweiligen Passion, auch wenn diese noch so vergänglich war. Diesmal hatte es ihm das Bildnis einer Dame aus dem achtzehnten Jahrhundert angetan, deren dekolletiertes Mieder und rüschenbesetztes Chemisett mit bewundernswert zarten Pinselstrichen ausgeführt waren, wogegen das Antlitz unter der hohen, gepuderten Perücke eine Spur zu herzig wirkte.
»Bestimmt hat das ein reicher Liebhaber bezahlt«, hatte er gesagt. »Sie sieht doch eher aus wie eine Kurtisane und nicht wie eine Ehefrau, oder? Ich glaube fast, es könnte von Richard Corey sein. Wenn ja, war’s echt ein Schnäppchen. Du siehst doch ein, Schatz, daß ich da nicht widerstehen konnte?«
»Wo hast du’s denn her?«
»Von einer Frau, die mir ein paar Zeichnungen angeboten hatte, die sie für Originale hielt. Es waren leider keine, aber das hier ist echt.«
»Und wieviel hast du bezahlt?«
»Drei fünfzig. Sie hätt’s mir auch für weniger gegeben. War ziemlich in Druck. Aber ich find’s schön, die Leute ein bißchen glücklich zu machen, indem ich ihnen etwas mehr zahle, als sie erwarten.«
»Und die Miniatur ist vermutlich das Dreifache wert.«
»Ungefähr, ja. Wunderschön, nicht? Allein schon das Gehäuse. Im hinteren Deckel ist eine Locke von ihr. Ich denke, wir legen’s besser nicht vorn in den Laden, es könnte zu leicht geklaut werden. Der alte Simon hat längst nicht mehr so gute Augen wie früher.«
»Ich finde, er sieht ziemlich angegriffen aus«, sagte sie. »Willst du ihm nicht raten, mal zum Arzt zu gehen?«
»Zwecklos, ich hab’s versucht. Er kann Ärzte nicht ausstehen, außerdem hat er schreckliche Angst, daß man ihn ins Krankenhaus schicken könnte, und Krankenhäuser haßt er noch mehr als Ärzte. Er sagt, im Krankenhaus sterben die Leute, und er mag nun mal nicht an den Tod denken. Nicht verwunderlich für
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