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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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liebte Schönheit, Vielfalt, Kurioses. Er war außerordentlich bewandert auf Gebieten, von denen sie kaum etwas wußte. Dabei staunte sie ebensosehr über die Dinge, in denen er sich auskannte, wie über die, von denen er keine Ahnung hatte. Hin und wieder wurden seine Funde von Mr. Simon befördert und kamen nach vorn in den Laden, worauf Declan prompt das Interesse an ihnen verlor, aber im Grunde war seine Liebe zu all seinen Errungenschaften wankelmütig. »Du verstehst doch, Claudia-Schatz, warum ich da einfach zugreifen mußte? Du siehst doch ein, daß ich daran nicht vorbeigehen konnte?« Er streichelte, bewunderte, erforschte jede Neuerwerbung, prahlte damit und gab ihr den Ehrenplatz. Aber drei Monate später war sie auf rätselhafte Weise verschwunden und durch eine neue Schwärmerei ersetzt. Von einer durchdachten Anordnung seines Sortiments konnte keine Rede sein; kunterbunt lagen die Stücke durcheinander, Wertgegenstände neben billigem Plunder. Eine Staffordshire-Gedenkfigur von Garibaldi zu Pferde, eine gesprungene Bloor-Derby-Terrine, Münzen und Orden, ausgestopfte Vögel unter Glasstürzen, kitschige viktorianische Aquarelle, Bronzebüsten von Gladstone und Disraeli, eine wuchtige viktorianische Kommode, ein Paar vergoldete Art-deco-Stühle, ein ausgestopfter Bär, eine vor Lametta strotzende Offiziersmütze der deutschen Luftwaffe.
    Mit Blick auf letztere hatte sie scherzhaft gefragt: »Und als was verkaufst du die? Womöglich eine original Hermann Göring?«
    Claudia wußte nichts über seine Vergangenheit. Einmal hatte er mit breitem irischen Akzent, der freilich nicht überzeugend klang, gesagt: »Menschenskind, ich bin doch mal bloß ’ne arme Waise aus Tipperary – Mama tot und Papa auf und davon.« Aber sie glaubte ihm nicht. Seine normalerweise klare, sorgsam kultivierte Sprache verriet nämlich nichts über Herkunft und Erziehung. Wenn sie erst verheiratet waren – falls es je zur Heirat kam –, würde er ihr wohl etwas über sich erzählen, und wenn nicht, würde sie ihm dann wahrscheinlich Fragen stellen. Im Moment aber hielt eine warnende innere Stimme sie zurück, die ihr sagte, es sei unklug, ihn zu bedrängen. Es fiel schwer, ihm eine konventionelle Vergangenheit zuzuordnen, ein Leben mit Eltern und Geschwistern, dann die Schule, die erste Anstellung. Manchmal kam er ihr vor wie ein exotischer Wechselbalg, der gleichsam aus dem Nichts in diesem vollgestopften Hinterzimmer aufgetaucht war und dort nun mit seinem ausgeprägten Sammlertrieb Relikte aus früheren Jahrhunderten hortete, während er selbst, wenn überhaupt, doch nur in der unmittelbaren Gegenwart des Augenblicks wirklich existierte.
    Sie hatten sich vor sechs Monaten in der U-Bahn kennengelernt, wo sie zufällig nebeneinandersaßen, als die Central Line durch eine größere Betriebsstörung lahmgelegt wurde. Während der scheinbar endlosen Wartezeit, bis die Durchsage kam, alle Passagiere sollten den Zug verlassen und zu Fuß über die Gleise zum nächsten Bahnhof gehen, hatte er immer wieder nach ihrer Zeitung geschielt. Als ihre Blicke sich einmal trafen, lächelte er entschuldigend und sagte: »Verzeihen Sie, ich weiß, das ist unhöflich, aber ich kriege furchtbar leicht Platzangst. Und ich komme einfach leichter mit so einer Panne zurecht, wenn ich was zu lesen habe. Normalerweise hab’ ich immer was dabei.«
    Sie hatte ihm den Independent gereicht und gesagt: »Nehmen Sie nur, ich bin mit der Zeitung schon durch, und ich hab’ noch ein Buch in der Aktenmappe.«
    Und so hatten sie nebeneinandergesessen, jeder still für sich in seine Lektüre vertieft, aber sie war sich seiner Gegenwart außerordentlich bewußt gewesen, was sie jedoch zunächst auf die Anspannung und die beklemmende Ungewißheit schob, die sie nervös machte. Als dann endlich die Anweisung kam, den Zug zu räumen, brach zwar keine Panik aus, aber es war doch eine sehr unangenehme und für manche Fahrgäste beängstigende Erfahrung gewesen. Ein, zwei Clowns waren der Nervosität mit einem Anflug derben Humors und lautem Gelächter begegnet, aber die meisten hatten schweigend ausgeharrt. Eine alte Frau ganz in ihrer Nähe war völlig aufgelöst, und sie hatten sie in die Mitte genommen und halb über die Schienen getragen. Sie hatte ihnen erzählt, daß sie herzkrank sei und obendrein noch an Asthma leide, und daß sie Angst habe, von dem vielen Staub im Tunnel einen Anfall zu bekommen.
    Als sie den Bahnhof erreichten und die Frau in die Obhut

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