Adams Erbe (German Edition)
Wohnung war. In der Kammer habe ich mich in Sicherheit gefühlt. Ich habe mir immer vorgestellt, dass die Tür verzaubert wäre und nur ich sie öffnen könnte.«
»Und da haben Sie es dann vergessen?«
Sie schüttelte den Kopf. »O nein. Als ich gehen musste, habe ich es dort festgebunden. Damit… Damit es bleibt.«
Anna machte sich auf den Weg nach Warschau, wo sie gute Freunde hatte. Sie kam niemals bei ihnen an. Sie wurde aufgegriffen und landete schließlich im Warschauer Ghetto.
»Ich war sehr krank, als eines Abends ein Hilfspolizist in meinem Zimmer stand. Es war wohl Rafal… Ich erinnere mich an die Augenbrauen und an seinen Gang. Rechts, links, rechts und ein Hüpfer. Er schrie mich an und drohte mir mit seinem Knüppel. ›Mitkommen‹, brüllte er. Ich konnte kaum gehen, aber er jagte mich durch die Straßen bis zum Tor. Dort drückte er mir einen Passierschein in die Hand und stieß mich in eine Gruppe von Menschen, die gerade das Ghetto verließen. Ich verstand nicht, was da vor sich ging. Ich folgte einfach den anderen. Kaum war ich draußen, packte mich jemand. Ein deutscher oder ein polnischer Polizist, ich weiß es nicht mehr. Ich habe nur gedacht, jetzt ist es vorbei, jetzt erschießen sie dich. Etwas Hartes landete auf meinem Kopf. Jetzt bist du tot, habe ich gedacht. Aber ich war nicht tot. Ich wachte mit einer Beule am Kopf auf. Ein sauberes Zimmer, ein Bett…«
»Waren Sie bei Abraham?«
»Nein. Es waren zwei Schwestern. Sie wussten nicht, wem ich meine Befreiung zu verdanken hatte. Es war ein… ein Wunder. Und weil niemand meine Fragen beantworten konnte, akzeptierte ich das Wunder.«
Als der Krieg vorbei war, stellte Anna fest, dass alle Menschen, die sie einmal geliebt hatte, verschwunden waren. Ihre Familie, ihre Freunde – keiner hatte überlebt. Nichts war geblieben, weder das Band noch das Haus in der Straße des Hutmachers noch Leon, den man nur wenige Tage nach Annas Flucht verhaftet hatte.
»Sind Sie nach Berlin zurückgekehrt?«, fragte ich.
»Ein Mal.«
»Waren Sie…?«
»Ich war da. Eine fremde Frau hat mir die Tür geöffnet. Sie sagte mir, dass man die Cohens schon 1942 abgeholt hätte.« Und einen Augenblick lang war Anna weit weg, an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit.
Ich zögerte. »Haben Sie Adam…« Ich traute mich nicht, zu Ende zu sprechen, aber das war auch nicht nötig, sie wusste, was ich wissen wollte.
»Ob ich ihn geliebt habe?« Sie lächelte. »Ich denke, ja, ich war sehr ängstlich. Und Adam, er war ein Träumer, er war… Ich denke, ich habe ihn geliebt.«
Anna beschloss, nach Amerika überzusiedeln. Dank eines ihr wohlgesinnten amerikanischen Offiziers erhielt sie schon bald ein Visum.
»Ich dachte, ich könnte noch einmal von vorne anfangen. Ich dachte, es muss einen Grund geben, warum ich noch hier bin.«
Anna lernte einen Amerikaner kennen und verlobte sich mit ihm. Er war Dozent für neuere Geschichte und begriff ihren Drang, zu verstehen. Sie begann zu lesen und zu forschen.
»Es war wie eine hochkomplizierte Rechnung. Ich war mir sicher, dass ich eines Tages zu einem Ergebnis kommen würde. Eine Antwort, ebenso komplex wie ihr Lösungsweg. Aber Adams Professor Menden hatte recht. Es waren Menschen…«
Sie stand auf und holte einige Papiere aus ihrer Kommode. »Lesen Sie«, sagte Anna und reichte mir ein Blatt.
»Was ist das?«
»Lesen Sie es laut vor.«
» 2. 9. 41 Absender: Reichsführer SS; Empfänger: Ahnenerbe e. V.
In dem beiliegenden italienischen Buch Razze e popoli della terra sind im ersten Band die verschiedenen Venusfiguren von Biesternitz und Willenberg und ähnliche Figuren schwangerer, überfetter, mit besonders starken Schenkeln und Gesäßen versehener weiblicher Figuren abgebildet.
Diese Figuren sind einige der wenigen Hinweise auf in der Steinzeit lebende Völker der Gegenden, in denen die Figuren gefunden wurden. Nun fällt mir auf, dass bei einigen Stämmen wilder Völker, vor allem bei den Hottentotten, die Frauen noch dieselben Figuren, den Fettsteiß, und alle anderen Attribute dieser Art haben.
Ich ersuche, nun einmal eine eingehende Forschung in Zusammenarbeit mit dem Rasse- und Siedlungshauptamt-SS in die Wege zu leiten über folgende Fragen:
1.) Wo wurden, kartenmäßig aufgezeichnet, solche Venusfiguren überall gefunden?
2.) Wie war das Klima an diesen Stellen zur Zeit, als das betreffende Volk lebte?
3.) Gibt es Hinweise, dass entweder Völker ähnlich wie die Hottentotten
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