Adams Erbe (German Edition)
lächelte, dann lachte er, und dann lachten wir alle drei. Jack holte seine Zigaretten heraus und zündete jedem eine an.
»Ob das für Eddylein so gut ist?«
»Das ist schon in Ordnung«, sagte Jack.
»Nachher wächst er nicht mehr.«
»Er wird wachsen.«
»Na dann.« Mama seufzte.
Es war nicht das letzte Mal, dass Jack vor Zorn tobte, und auch nicht das letzte Mal, dass Mama und ich dabei etwas abbekamen.
Aber nach seinen Ausrastern liebten und bewunderten wir ihn nicht weniger. Jacks Wut kam und ging, ohne irgendwelche Spuren in Magdas und meinem Herzen zu hinterlassen.
Jetzt hatten wir nur noch einen Stuhl und ein Loch in der Wand. Am Ende der Woche kam ein Brief von meiner Großmutter. Ein Scheck und eine Karte mit einer einzigen Zeile: Zahlt eure Telefonrechnung.
Das taten wir nicht. Wir packten unsere Habseligkeiten in den schwarzen Volvo und verließen Taunusstein.
Nun begannen unsere Wanderjahre. Ich ging gar nicht mehr zur Schule, wir wussten ja nie, wie lange wir an einem Ort bleiben würden. Und diese ganze An- und Abmelderei nervte. Ich glaube zumindest, dass das der Grund war, warum ich dem Unterricht fernbleiben durfte. Und um jeglichen Ärger mit den Behörden zu vermeiden, stellte mir ein Bekannter von Jack ein Attest aus. Herzklappenfehler, lautete die erfundene Diagnose.
Aber der King hätte mich niemals dumm sterben lassen, deshalb nahm er meine Bildung selbst in die Hand und lehrte mich seine eigene Geschichtsschreibung. In Jacks Welt blieb Napoleon, den er zutiefst verehrte, bis an sein Lebensende der Kaiser von Frankreich und besiegte die Preußen in der Schlacht bei Waterloo. Napoleon Bonaparte starb an seinem 100. Geburtstag in Paris, ohne je auch nur eine einzige Niederlage erlitten zu haben. Jack rehabilitierte Caligula und ließ ihn anstelle von Caesar den Rubikon überschreiten. Und er lehrte mich, dass die Sizilianer, die verdammten Sizilianer und niemand anders als die elenden Sizilianer Jesus Christus ans Kreuz geschlagen hatten.
Ich kannte den Verlauf von Kriegen, die niemals gekämpft wurden. Und wir sangen Nationalhymnen von Völkern, die es niemals gegeben hatte.
Meistens lebten wir in winzigen Wohnungen, zwischendurch in billigen Pensionen oder Hotels, die man in keinem Reiseführer finden konnte.
Jack arbeitete für eine Firma, die Babyboote und Schwimmflügel herstellte. Aber was er da genau machte, blieb Mama und mir ein Rätsel. Manchmal lagerte das neonorange Plastikzeug für ein paar Stunden in unserer jeweiligen Behausung, dann kam jemand und holte es ab. Ab und zu verschwand Jack Moss in Firmenauftrag für mehrere Tage. Wir wussten weder, wo er war, noch, wann er zurückkommen würde.
Einmal im Monat meldeten wir uns bei Lara Cohen in Berlin, die zu meiner Verwunderung ihre Englandpläne endgültig verworfen hatte. Mama und ich logen, dass es krachte. Wir erzählten ihr, Jack Moss würde für die amerikanische Regierung arbeiten. Das erlaubte uns, auf all ihre Fragen mit »Das wissen wir nicht, das ist streng geheim« zu antworten. Es war die Begründung für unsere ständigen Wohnortswechsel und die Ausrede, warum wir ihr nie die Adresse geben konnten. Ich denke nicht, dass meine Großmutter uns jemals geglaubt hat.
Eines Tages, als wir bereits über ein Jahr umherzogen, verkündete Lara Cohen am Telefon, dass sie uns besuchen wollte.
»Das… das geht nicht…«, sagte ich und wusste absolut nicht, wie ich diesen Satz beenden sollte.
»So? Und warum nicht?«
»Wegen… wegen der amerikanischen Regierung.«
»Edward, gib mir sofort deine Mutter«, zischte Oma.
Das Telefonat dauerte fast eine Stunde. Ich konnte Lara Cohens Monolog nicht hören, sah nur meine schweigende Mama, die mit jeder Minute blasser wurde.
»Ach Eddylein, sie kommt.«
Jack Moss lachte, als er von dem bevorstehenden Besuch seiner Schwiegermutter erfuhr.
»Aber sie denkt, dass du für die Regierung arbeitest.«
»Und das lassen wir sie auch weiterhin denken.«
Bevor Lara Cohen anrückte, bekam ich einen neuen Schulranzen zur Tarnung. Den alten hatte ich verloren.
Wir zogen in eine Pension in der Nähe von Frankfurt und mieteten zwei miteinander verbundene Suiten, die diese Bezeichnung wahrlich nicht verdient hatten. Aber davor hatten wir in einer Kellerwohnung gelebt, anderthalb Zimmer ohne Fenster. Und jetzt hatten wir vier Schlafzimmer, zwei Bäder und eine Kochnische. Mama gab sich alle Mühe, die abgewetzten Möbel auf Hochglanz zu polieren, und verwandelte eines der
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