Adams Erbe (German Edition)
Milch, Edward?«
Ehe ich antworten konnte, begann die Mahagoniplatte zu wackeln, Krämpfe schüttelten Maszuks Körper.
»Milch?«, fragte sie noch einmal.
»Sollte man nicht einen Arzt rufen?«
Sie lächelte und strich über ihre Pelzstola. »Nein. Die Ärzte sagen ohnehin nur, dass er bald sterben wird, und das hört er nicht gerne.«
Wir löffelten das Eis, schlürften den Kaffee und taten so, als wäre es das Normalste auf der Welt, dass ein todkranker Mann mitten auf dem Tisch lag.
Am nächsten Morgen war keiner da, um sich von uns zu verabschieden. Ein Taxi brachte uns zum Bahnhof, und im Zug lachte Hendrik wieder wie Hendrik.
»Du bist ganz anders, wenn deine Eltern dabei sind.«
»So ist es einfacher.« Er zündete zwei Zigaretten an und stopfte mir eine in den Mund.
»Vielleicht sollte deine Mutter nicht alle drei Minuten erwähnen, dass er bald sterben wird.«
»Sie schluckt so viele Tabletten, dass sie gar nicht mehr weiß, was sie sagt.«
»Aber…«
»Eddy. Rauch und halt die Klappe.«
Dani war launisch, Dani war lustig, und Dani war in Hendrik verliebt, aber Hendrik nicht in Dani.
Sie konnte zwar nicht Fußball spielen, jedoch mindestens so viel Bier trinken wie wir.
Sie arbeitete gelegentlich für den Graphikdesigner, der Hendriks Scheine fälschte. Keiner von uns kann sich mehr erinnern, wann genau und warum Dani zu uns stieß. Aber irgendwann gab es uns nur noch zu dritt. Dani war die erste Frau, mit der ich schlief. Ich tat es, um es zu tun, und sie tat es, weil der, mit dem sie es gern getan hätte, es nicht mit ihr tun wollte. Und weil wir niemanden sonst fanden, taten wir es öfter. Die Nächte mit Dani waren auf eine unspektakuläre Art schön, und es machte sie verdammt stolz, mich entjungfert zu haben.
Es war Herbst, und auf dem Rasen der Jahnwiesen sammelte sich das abgefallene Laub. Hendrik und ich kickten lustlos den Ball hin und her, und Dani saß mit teuflisch schlechter Laune am Spielfeldrand. In einer Hand hielt sie eine Zigarette, mit der anderen malträtierte sie den Rasen.
Ich schoss daneben, der Ball knallte gegen Danis Kopf, und sie kippte zur Seite. Hendrik und ich mussten laut lachen und hörten erst auf, als wir merkten, dass Dani weinte.
»Dani, es tut mir leid«, sagte ich und legte meinen Arm um sie.
»Edward, halt die Fresse.« Sie schlug meinen Arm von ihrer Schulter, viel fester als nötig.
»Dani, es tut ihm leid.« Hendriks Arm durfte auf ihrer Schulter verweilen.
»Das sind unsere besten Jahre. Und was machen wir? He? Was machen wir? Man kann doch nicht den ganzen Tag auf einer Wiese sitzen. Und das Highlight des Tages ist, wenn Herr Arschloch einem den Ball an den Kopf schießt.«
Wir wussten, dass Dani recht hatte, dass es schon lange Zeit war, etwas Neues zu beginnen. Einmal ausgesprochen, ließ der Gedanke uns nicht los, war immer da, aufdringlich, aber diffus.
Es war Karl Groll, der unseren Gedanken nur wenige Wochen später eine Form gab. Groll wohnte neben mir. Er hatte ein Kindergesicht mit tiefen, fast schwarzen Augenringen, war ein Jahr jünger als ich und arbeitete in einer Druckerei.
Nachdem der Schlüsseldienst drei Mal seine Tür hatte aufbrechen müssen, bunkerte er einen Ersatzschlüssel bei mir und sparte ein Vermögen. Manchmal kam ich nachts nach Hause und fand ihn zusammengerollt wie ein Hündchen vor meiner Tür. Wenn ich schlechte Laune hatte, trat ich gegen sein Schienbein, wenn ich gute Laune hatte, rüttelte ich ganz vorsichtig an seiner Schulter. Egal, auf welche Art ich ihn weckte, er antwortete immer mit einem dankbaren Lächeln. Wenn ich schlechte Laune hatte, verachtete ich ihn dafür, wenn ich gute Laune hatte, berührte mich sein Lächeln.
An einem verregneten Nachmittag spielten Hendrik und ich über Danis Kopf hinweg in meiner Wohnung Fußball, als Karl mit einem Haufen aufgeweichter Pappkartons vor der Tür stand, um seinen Schlüssel zu holen.
»Baust du dir damit ’ne Hütte, Groll?«, fragte Hendrik und lachte herablassend.
»Nein, ich zieh nach Berlin.«
Es roch nach Gin und Babyarsch. Die Huberin bearbeitete ihre Schenkel mit Puder und nippte an ihrem Kaffee, während meine Mutter winzige rote Kreuze auf ein weißes Tuch stickte.
»Wirst du Oma besuchen, wenn du in Berlin bist?«
»Soll ich?«
Mama legte ihr Stickzeug nieder, dachte nach und nickte.
»In Berlin hat alles angefangen, Eddylein.«
»Junge, Berlin ist verdammt nah an Russland dran. Da würde ich ein bisschen aufpassen«, bellte die
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