Adams Erbe (German Edition)
überhaupt nie, aber mit der Zeit wurde es träge und fett. Und eines Tages war es weg, ließ mich beschädigt und unvollständig zurück. Von Ed Moss-Cohen blieben nur noch Reste übrig. Neues Fleisch wuchs nach. Fremdes, rosiges Gewebe. Eddylein, Edward, Ed, Eduard, der Junge, Adams Augen, Adams Nase, Adams Mund, Adams Stimme. Und der neue, noch namenlose Stoff. Ein Flickenteppich.
Nachdem ich zweimal die zehnte Klasse wiederholen musste – mein unbesiegbarer Napoleon war nicht ganz unschuldig daran –, schaffte ich mit zwanzig mein Abitur. Danach kam der Zivildienst im Altersheim. Alles war gut, nichts war schön. Wenn ich an Jack dachte, erschien das Cover einer Elvis-Platte vor meinen Augen und nicht der Elefantengott selbst. Je angestrengter ich versuchte, sein Bild heraufzubeschwören, desto schneller verschwammen die Konturen. Wenn ich weinen wollte, weil ich befürchtete, nicht nur Jack Moss verloren zu haben, sondern auch die Erinnerung an ihn, hörte ich sein Lachen. Und schloss für einen Moment Frieden.
Ich war einundzwanzig und spürte, dass es Zeit war, meine Mutter und die Huberin zu verlassen. Mir ein eigenes Leben aufzubauen, was auch immer das heißen mochte.
Ich schrieb mich an der Kölner Uni ein und bezog eine Einzimmerwohnung in der Nähe der Hochschule. Die Huberin und Mama zahlten meine Miete.
Ich studierte BWL , ging zu keiner Vorlesung und machte keine Scheine. Trotzdem marschierte ich jeden Tag tapfer in die Universität, setzte mich auf einen fest montierten Plastikstuhl unten in der Halle und beobachtete das Treiben. Ich hatte einen Rucksack, der mich stark an den Schulranzen erinnerte, den wir damals für den Besuch meiner Großmutter gekauft hatten. Nur gab es dieses Mal niemanden, dem ich etwas hätte vorspielen müssen.
Mein Plastikstuhl war orange, der zweite von links. Wenn ich morgens das Gebäude betrat und jemand auf meinem Stuhl saß, bekam ich äußerst schlechte Laune und so etwas wie Panik. Aber früher oder später wurde mein Platz frei, denn irgendwann musste der Arsch, der meine Sitzschale blockierte, in eine Vorlesung oder sonstwohin.
Der Stuhl wurde zum Fixpunkt meines Daseins. Einzelgänger ist ein harmloser Ausdruck für das, was ich war. Ich hatte einfach keine Freunde, und die Menschen, die sich jeden Tag durch die Gänge drängten, schienen rein gar nichts mit mir zu tun zu haben. Aber in meinem fünften Semester lernte ich Hendrik kennen.
An einem Montag, das Wochenende hatte ich wie immer bei Mama und der Huberin verbracht, saß jemand auf meinem Platz. Er war etwa so alt wie ich und versuchte, einen Wust Papiere auf seinem Schoß zu sortieren. Ich postierte mich direkt vor ihm und wartete. Die Leute räumten den Sitz schneller, wenn man sich nur nah genug an sie herandrängte. Aber Hendrik ignorierte mich einfach. Es dauerte über eine Stunde, bis er zu mir aufsah.
»Ist was?«
»Nein.«
Es verging noch eine Stunde.
»Hat dich mein Vater geschickt? Bist du hier, um mir nachzuspionieren?«
»Nein. Ich warte auf…«
»Ja?«
Dann erzählte ich Hendrik von meiner Obsession mit dem Stuhl. Wir wurden Freunde.
Hendriks Vater war eine Größe in der Immobilienbranche. Durch Fleiß, harte Arbeit und einen unbeugsamen Willen hatte es Herr Maszuk, der Sohn tschechischer Flüchtlinge, bis nach ganz oben geschafft. Aber die Geschichte vom erfolgreichen Vater und dem Versagersohn scheint eines von Gottes Lieblingssujets zu sein, und er wird nicht müde, sie immer und immer wieder zu erzählen.
Eigentlich hatte Hendrik in der Schweiz an einer Eliteuniversität studieren sollen, aber keinen der Aufnahmetests bestanden. Obwohl Herr Maszuk der Anstalt einen Haufen Extrageld geboten hatte, verweigerten die Schweizer Hendrik den Eintritt. Er wurde nach Köln geschickt, damit der alte Maszuk, der in Düsseldorf residierte, seinen unerfreulichen Sprössling wenigstens im Auge behalten konnte. Herr Maszuk hatte nicht nur ein Imperium, sondern auch Nierenkrebs. Hendrik war sich sicher, dass sein Vater das Zeitliche segnen würde, lange bevor er von ihm den Studienabschluss erwarten konnte. Bis dahin fälschte ihm ein Graphikdesigner mit großer Sorgfalt die Scheine.
Hendrik brachte mir Fußballspielen und Biertrinken bei und wie man beides gleichzeitig schafft. Er war auf unaufdringliche Art hübsch, hatte Schlag bei den Frauen und bewegte sich mit einer etwas plumpen Leichtigkeit durchs Leben. Ich wäre wohl jedem gefolgt, der mich von meinem Plastikstuhl
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