Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
Schmerzen durchwanderte. Sie ging damals im siebten Mond schwanger mit Beringar. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, Magdalena auf dem Straußberg zu besuchen, die ebenfalls ein Kind erwartete, aber bereits kurz vor der Niederkunft stand. Weder Folkmar noch ihre Kammerdienerin konnten sie davon abhalten. Zu allem Unglück hatte der alte Diabolus eine Hufentzündung und sie ließ Thymbos satteln. Der Rappe war seinem Vater sowohl vom Aussehen als auch vom Temperament her außergewöhnlich ähnlich und deshalb Adelheids ausgesprochener Liebling. Doch Thymbos war jung und unerfahren. Auf dem Weg zum Straußberg scheute er vor einer Kreuzotter, die urplötzlich aus dem dichten Gras am Wegrand über den Boden glitt und ging durch. Adelheid konnte ihn nach einem viertelstündigen Höllenritt zwar beruhigen, durch die heftigen Erschütterungen setzten allerdings die Wehen ein. Als die panisch suchende Begleitmannschaft sie endlich im Wald kurz vor den Mauern von Straußberg gefunden hatte, war Beringar bereits geboren. Die Männer brachten die fast besinnungslose Mutter und das winzige, kaum atmende Bündel Mensch sofort auf die Burg, wo Magdalena sich um die beiden kümmerte. Mutter und Kind überlebten wie durch ein Wunder, Beringar blieb jedoch klein und kränkelte stets.
„Warum siehst du so traurig aus?“, schnurrte ihre Stimme dicht an seinem Ohr.
Er schüttelte sich, um die trüben Gedanken zu vertreiben. „Ich dachte nur gerade, wie schwer es Beringar einmal haben wird!“
„Ich glaube seine körperliche Schwäche gleicht er durch etwas aus, was auch sehr gefährlich sein kann: Er hat dein vorlautes Mundwerk!“
„Wieso meines? Was unterstellst du mir schon wieder?“
Im Schein der Kerze waren seine Augen auf sie gerichtet und das Blau wirkte bei diesem Licht fast schwarz. Wie so oft vorher staunte sie über seine dichten Wimpern, die sich wie ein Vorhang über die Pupillen senkten und einen langen Schatten auf seine stoppeligen Wangen warfen.
„Ich unterstelle nicht, ich stelle fest!“ Sie räkelte sich genüsslich und kroch dicht an ihn heran. „Und ich werde gleich noch viel mehr …“ Weiter kam sie nicht, denn er beugte sich über sie und verschloss ihr den Mund mit seinen warmen, fordernden Lippen. Seine Bartstoppeln kratzten, aber es war ein herrliches Gefühl.
Anno 1111
G lückliche Jahre vergehen schnell, und so verrannen die nächsten Sommer und Winter auf Lare wie im Fluge. Gleich einer Insel lag die Feste unberührt im brodelnden Umfeld der Intrigen und Machtspiele zwischen Kirche und Königtum. Anno 1106 hatte Heinrich IV. seinem Sohn entfliehen können, doch das Schicksal gönnte ihm diesen Triumph nicht, nur kurze Zeit später starb er unverhofft in Lüttich. Heinrich V. tat unterdessen alles Erdenkliche, um sich im Lande unbeliebt zu machen. Er stieß die wenigen Fürsten vor den Kopf, die weiterhin zu ihm hielten, raffte Geld und Gut zusammen, wo es nur ging und verprellte die Städte, auf die sein Vater noch hatte zählen können, mit der Einführung neuer Steuern. Das ehemalig große Reich, seit den Ottonen unbezwingbar, zerfiel ihm langsam unter den Händen.
Ungeachtet dieser trügerischen Ruhe hatten die abhängigen Bauern auf Lare unter der Leitung von erfahrenen Baumeistern einen weiteren Turm im Osten der Burg errichtet, der aus der Feste nun eine der stärksten Verteidigungsanlagen südlich des Blocksberges werden ließ. Doch die dunklen Wolken, die sich über dem Land zusammenzogen, waren von diesem neuen Aussichtspunkt umso besser zu sehen. Die sächsischen Fürsten erstarkten immer mehr, das Klirren ihrer Schwerter ging in lautes Rasseln über. Die einzelnen Truppen schlossen sich zu einem starken und bedrohlichen Bund zusammen, den der Kaiser bald nicht mehr ignorieren konnte.
Im Frühjahr des Jahres 1111 häufte sich die Ankunft von berittenen Boten auf der Burg, die nach kürzester Zeit mit frischen Pferden und versiegelten Schriftrollen in den Satteltaschen die Feste wieder verließen. Adelheid beobachtete nervös das hektische Treiben und befürchtete wieder einmal, Lare könne nun doch in kriegerische Auseinandersetzungen verstrickt werden.
An diesem regnerischen Apriltag war bereits der dritte Bote erschienen, als Adelheid vorwurfsvoll an den Tisch im Saal trat, wo eine eng vertraute Männerrunde die Köpfe zusammensteckte.
„Könnte mir jemand von den Herren mitteilen, was hier vor sich geht? Ist es vielleicht etwas, was ich als Burgherrin wissen müsste?“
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