Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
schützen. Mit einem kleinen Messer und einem fein geflochtenen Weidenkorb ausgerüstet, lief sie mit großen Schritten über die Vorburg dem südöstlichen Tor zu. Manch einer vom Gesinde erkannte sie in ihrer ungewöhnlichen Kleidung nicht und versäumte es, sie zu grüßen, doch sie kümmerte sich nicht darum. Lange war sie nicht mehr unterwegs gewesen, um Kräuter zu suchen. Die wichtigsten Dinge hatte sie ohnehin in ihrem Gärtchen gezogen. Doch für Adele sollte es die wilde Einbeere sein, die unter ihren natürlichen Bedingungen im kühlen Schatten der mächtigen grauen Buchenstämme gewachsen war.
Der Wald hinter dem Burggraben war noch morgendlich frisch und lag in tiefem Frieden. Aufatmend genoss Adelheid die Stille, die nur vom Schlagen der Finken und dem fernen Ruf eines Kuckucks unterbrochen wurde. Eine große graue Drossel raschelte vor ihr im trockenen Laub und schien sich von der Frau, die mit aufmerksamen Blicken den Waldboden absuchte, nicht beeindrucken zu lassen. Adelheid wusste von früheren Streifzügen mit Magdalena, dass die Einbeere am liebsten auf steinigen Böden wuchs, sie strebte also dem steilen Abhang des Bergkammes zu, wo der Regen den guten Mutterboden teilweise hinabgespült und den blanken Felsen frei gelegt hatte. Und tatsächlich wurde sie bald fündig. Mehrere kleine grüne Schirmchen mit der dunklen Perle in der Mitte, die einer Tollkirsche zum Verwechseln ähnelte, ragten ihr aus dem braunen Laub des Vorjahres entgegen. Vorsichtig trennte sie drei der Pflanzen mit dem kleinen Messer kurz über dem Boden ab und prägte sich gewohnheitsgemäß den Standort ein, falls später noch einmal Bedarf bestehen sollte. Zwar wurde nur die Beere benötigt, doch an dem Stängel mit den kreuzförmig angeordneten Blättern würde sich diese länger frisch halten. Magdalena hatte ihr einmal erklärt, wie ihre Vorfahren die Einbeere benutzten, um wilde Tiere wie Wölfe oder Bären zu töten, wenn sie in harten Wintern den Behausungen der Menschen bedrohlich nahe kamen. Die Beere wurde in einem Fleischstück versteckt und den Tieren als Köder ausgelegt.
Für die Dosierung als Wehenmittel benötigte Magdalena nur einen kleinen Teil einer Beere, da sie frisch war und nicht getrocknet, genügte bereits ein Stückchen Fruchtfleisch von der Größe eines Weizenkorns, um die gewünschte Wirkung zu entfalten.
Da der Bote vom Straußberg auf die Beeren wartete, hielt Adelheid sich nicht länger auf und verbot sich, nach anderen Kräutern Ausschau zu halten. Sie ging in Richtung der Straße, die direkt zum Haupttor führte. Als die Bäume bereits weniger dicht standen, kam sie an dem Unterholz vorbei, in dem sich vor Jahren Johannes mit den Gebraer Bauern versteckt gehalten hatte, um sie vor den Mülhusern zu retten. Mit Schaudern dachte sie zurück an diesen Tag. Wie jung und unerfahren sie gewesen war, und wie gefährlich leichtsinnig, als sie, nur mit Magdalena als Begleiterin, dem Trupp entgegenritt.
Die Szene lebte wieder vor ihr auf und zu spät bemerkte sie, dass das Geräusch von herangaloppierenden Pferden Realität war. Verwirrt blickte sie sich nach einem geeigneten Versteck um, doch der Vortrupp hatte sie bereits erspäht und hielt auf sie zu. Hastig wickelte sie den alten Mantel fest um ihren Körper und zog das Tuch weiter in die Stirn. In den rechten Ärmel schob sie das kleine Messer, so dass sie jederzeit nach ihm greifen konnte, mit der Linken packte sie den Korb fester, der ihr im Notfall als Schild dienen konnte. Im letzten Moment wischte sie sich noch einmal mit ihren erdigen Händen durch das Gesicht, um nicht erkannt zu werden.
Doch diese Maßnahme schien unnütz, denn der erste Reiter, der sein noch junges Pferd vor ihr so hart zügelte, dass es erschrocken stieg, sah ihr kaum ins Gesicht, sondern schien mit dem Straßenstaub zu ihren Füßen zu reden, als er verächtlich fragte: „Ist dies der rechte Weg nach Lare?“
Adelheid verbeugte sich tief, nachdem sie mit einem schnellen prüfenden Blick festgestellt hatte, dass sie den Mann nicht kannte. Sie brauchte ihre Stimme nicht zu verstellen, diese versagte ganz von allein vor Schreck, als sie am Sattel des Pferdes das Mülhuser Wappen entdeckte. „Ja Herr, das ist er wohl, doch …“
Der Reiter machte keine Anstalten, ihr weiter zuzuhören, wendete sein Pferd und hob den Arm, um dem Haupttrupp das Zeichen zum Weiterreiten zu geben. Adelheid erschrak und vertrat dem kräftigen Tier beherzt den Weg, sie war in Versuchung,
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