Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
nichts darauf zu sagen. Zum Abschied strich sie Diabolus die Hand sanft über die Nüstern. Dann hob sie eine Handvoll Stroh auf, um sich die Hände zu säubern und ging hinüber zur Zugbrücke, die sich vorm Tor zur Hauptburg befand. Das Torhaus lag verlassen in der späten Sonne, in friedlichen Zeiten war es nicht notwendig, die Kernburg zu bewachen. Überraschende Angreifer mussten zuerst über das weitläufige Wirtschaftsgelände der Vorburg gelangen und dort wurde ohnehin jeder Fremde argwöhnisch beobachtet. Im Notfall wäre die Zugbrücke schnell nach oben gebracht.
Als Adelheid die hellen Eichenbohlen der massiven Holzbrücke betrat, roch sie frisches Kettenfett. Graf Beringer achtete peinlich genau darauf, dass die Mechanik der Zugvorrichtung immer gewartet wurde. Zweimal in der Woche wurde der schwere Ausleger auch ohne Notwendigkeit bewegt und der aus einem dicken Eichenstamm gefertigte Schwenkbalken mit den Gegengewichten auf seine ungehinderte Beweglichkeit geprüft. Eventuelle Mängel konnten sofort erkannt und repariert werden. Das Überleben von Herrschaft und Gesinde hing im Ernstfall von dieser Brücke ab.
Stolz glitt Adelheids Blick über die hohen Mauern, die ihr Zuhause umgaben. Es war unmöglich für jedweden Angreifer, sie zu überwinden. Bereits im Burggraben, der die Anlage auf der Bergzunge vom felsigen Massiv der Hainleite abtrennte und noch einmal extra tief die Kalksteinmauern umgab, wäre er kläglich gescheitert. Solange Adelheid auf Lare lebte, hatte noch niemand gewagt, Hand an diese Festung zu legen. Ihr Vater selbst hatte sie in den Jahren vor ihrer Geburt bauen lassen, damals gerade frisch vermählt mit Adelheids Mutter, die den Grund und Boden mit einem halb verfallenen Wohnturm als Hochzeitsgut eingebracht hatte.
Sicher war das Gelände auch in alter Zeit bebaut gewesen, schon die früheren Generationen hatten die strategisch außerordentlich günstige Lage des Bergsporns erkannt. Graf Beringer hatte die alten Holzbauten fast ausnahmslos durch Steinhäuser und feste Mauern ersetzen lassen. Der massige Bergfried allein hatte viele Dutzend Ochsenkarren voll Kalksteinquader verschlungen. Die besten Steinmetze aus Italien hatten ihn auf den gewachsenen Felsen gemauert und seine ansehnliche Mauerstärke würde jedem Angriff widerstehen.
Adelheid passierte die kleine Schlupfpforte, die links neben dem schweren Tor mit seinen eisernen Beschlägen in die mehrere Fuß dicken Mauern eingelassen war und durchquerte mit schnellen Schritten den inneren Burghof. Sie ignorierte den Bergfried und den Palas zu ihrer Linken, wo sie ihren Vater mit dem Ritter vom Straußberg bei einem Gelage vermutete. Vielmehr steuerte sie zielstrebig auf die Burgmauer zu, die gegenüber vom Torhaus an einer unbebauten Stelle einen atemberaubenden Blick über das Tal unterhalb des Bergkammes und weit in die Umgebung hinaus bot. Mit oft geübten Bewegungen erklomm sie die Mauer und setzte sich auf die glatt behauenen und von der Frühjahrssonne bereits erwärmten Steine. Vorsichtig rutschte sie bis an den Rand des dicken Walls und ließ ihre Beine auf der Außenseite baumeln. Weit unter ihren Fußsohlen wogten die Baumwipfel der frisch treibenden Buchen, die Eichen waren noch kahl, nur ein leichter grüner Hauch im Unterholz kündigte junge Knospen an. Am kahlgeschlagenen Hang direkt unterhalb der Mauern zog sich der Eselsweg in eng gewundenen Kurven den Berg hinauf. In trockenen Zeiten schleppten die Grautiere auf diesem Pfad das lebensnotwendige Wasser aus dem Tal herauf.
Adelheids Blick glitt nach Westen, über das kleine Tal, dessen Ende hinter einer Biegung im Wald verschwand und das sich direkt gegenüber der Burg mit einem runden Bergkopf öffnete und damit die Sicht auf das wesentlich weitläufigere Tal des Wipperflusses freigab. Anrückende Feinde wären hier schon zu erblicken, wenn sie noch einen mehrstündigen Ritt vor sich hatten. Von dieser Seite her die Burg anzugreifen, war aussichtslos. Sie hob die Hand über die Augen. Die Sonne stand bereits tief, sie berührte die Baumwipfel des gegenüberliegenden Bergrückens, was den Anschein erweckte, als loderten Flammen aus den Zweigen. Obwohl ihr warmes Rot nicht mehr die Kraft des Mittags hatte, blendete sie doch. Weit im Norden, etwa einen Tagesritt entfernt, ragte dunkel die Silhouette des Blocksberges aus dem Gebirge, wie eine Glucke ihre Küken scharte er weitere Gipfel und Kämme um sich. Seine weiße Haube, letzter Bote des Winters, schrumpfte
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