Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
vor der Heirat nicht einmal gesehen hatten. Immer spielten politische Interessen die größere Rolle bei solchen Eheverträgen.
In Adelheid dagegen rebellierte ein edler und stolzer Charakter, der genährt von einer recht freizügigen Erziehung, nie gelernt hatte, sich fremdem Willen ohne die notwendige Einsicht zu beugen. Sie würde sich auf gar keinen Fall an diesen widerlichen Ritter verkaufen lassen, und hinge die Sicherheit der Burg davon hundertfach ab. Eher würde sie ihren Vater auffordern, die Ostmauern der Feste weiter zu verstärken und den Graben in dieser Richtung noch tiefer auszuheben. Sie schniefte laut und zog sich von Alwina weg an den Kamin zurück, da von der Kinderfrau offenbar kein Beistand zu erwarten war. Aber sie hatte frühzeitig gelernt, sich allein zu helfen.
Die Kemenate war neben dem Festsaal der einzige beheizbare Raum der Kernburg. Da Alwinas alte Knochen häufig vom Reißen geplagt wurden, knisterten hier vom Herbst bis ins späte Frühjahr hinein jeden Abend wohlig wärmende Flammen über Buchenholzscheiten, was Adelheid jetzt sehr entgegen kam. Unter dem Vorwand, sich um das Feuer zu kümmern, stocherte sie in der Glut und grübelte. Sie musste fliehen, das stand fest. Doch wohin? Wo konnte sie Hilfe erwarten? Bei den Bauern in Pustleben oder Schierenberg sicher nicht. Sie waren ihrem Grafen treu ergeben und würden sie sofort ausliefern. Adelheid konnte es ihnen nicht verdenken, schließlich bedurften sie im Notfall seines Schutzes. Einflussreiche Verwandte hatte sie nicht, jedenfalls nicht in erreichbarer Nähe. Da war ihre Tante Gertrud, die Gräfin von Northeim, aber sich allein bis an den Rand des Harzes durchzuschlagen, fehlte ihr der Mut. Zu unsicher waren die Zeiten, zu unverfroren und dreist die Wegelagerer und Gesetzlosen.
Ihr fiel die Begegnung vom Nachmittag ein. Fortunata? Sie war frei und unabhängig, sie schien auch furchtlos zu sein, sonst würde sie nicht allein im Wald leben. Aber wo konnte sie die Kräuterfrau finden?
Sie wandte den Kopf vom Feuer ab: „Alwina, stell dir vor, heute ist mir Fortunata im Wald begegnet.“
Die Kinderfrau sah irritiert auf und es schien Adelheid, als wüsste die alte Frau nicht, wer gemeint sei.
„Du weißt schon, die Kräuterfrau! Du bist früher bei ihr gewesen, um mir Sud gegen Husten zu holen!“, drängte Adelheid ungeduldig.
Alwinas Augen weiteten sich und sie bekreuzigte sich erschrocken. „Was hast du mit dieser Frau zu schaffen? Sie ist eine Hexe!“ Den letzten Satz flüsterte sie fast.
„Oder eine Heilerin! Wo liegt die Grenze zwischen schwarzer und weißer Magie? Doch sag, wo lebt diese Frau eigentlich? Ich habe sie noch nie in einem der Dörfer getroffen.“ Adelheid bemühte sich, ihrer Stimme einen beiläufigen Klang zu geben.
„Kannst du auch nicht. Sie hält sich fern von den Menschen. Sie haust irgendwo im Wald, zwischen den Klippen und dem Tal des Helbeflusses.“
„Und wenn jemand dringend Medizin benötigt, wie kann er sie dann finden?“
Alwina zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, irgendwie weiß sie, wann sie gebraucht wird. Ich bin einfach nur in den Wald gegangen und dann war sie da. Aber du musst diese Frau vergessen, Adelheid! Die Leute sagen, sie buhlt mit dem Satan!“
Adelheid lachte: „Und warum kaufen sie dann ihre Salben und Sude?“
Darauf wusste Alwina offensichtlich keine Antwort, denn sie schwieg und begann mürrisch, ihr Spinnrad und die Schafwolle beiseite zu räumen. Das Licht war zu schwach geworden, um weiter zu arbeiten.
In dieser Nacht tat Adelheid kein Auge zu. Bis in die frühen Morgenstunden hörte sie die Männer drüben im Palas grölen und johlen. Sie hoffte, dass auch der Hartgesottenste von ihnen bald über dem Tisch einschlafen würde. Als endlich Ruhe auf dem Hof einzog, erhob sie sich aus ihrem Bett. Das Stroh in der Unterlage raschelte leise. Von Alwinas Lager her hörte sie gedämpftes Schnarchen. Adelheid hatte sich wohlweislich in ihren Reitkleidern zu Bett gelegt und musste sich jetzt nur noch in ihren wollenen Umhang wickeln und die derben Stiefel überziehen. Vorsichtig um sich spähend trat sie hinaus in die abklingende Nacht. Die Luft war feucht und schwer und ihr rauchiger Geruch kratzte im Hals. Im Osten über dem Burgtor dämmerte ein erster schwacher Lichtschimmer herauf. Bis auf einen voreilig krähenden Hahn hinter der Mauer zur Vorburg war jedoch noch alles ruhig. Feine Nebelschwaden waberten über den Boden, als wollten sie die Spur
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