Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
bedienen. Die kleine Schlupfpforte durfte nur in Ausnahmefällen und mit ausdrücklicher Genehmigung des Burgherren geöffnet werden. Die Wachen auf den Türmen und Mauern waren verdoppelt, in der Vorburg hielten sich nur noch Soldaten auf. Das Gesinde schlief in der Kernburg.
Adelheid stutzte. Nachtschließen bedeutete auch, dass niemand von der Besatzung mehr vermisst wurde. Offensichtlich waren alle eingetroffen, auf die man gewartet hatte. Doch wo war Ritter Dietmar? Von seinem krakeelenden Gefolge hatte sie noch keinen einzigen Vasallen gesehen oder wenigstens gehört. Auch unter den Verwundeten hatte sie niemanden von den Straußbergern erkannt. Sie sah sich nach ihrem Bruder um. Der war spurlos verschwunden. Vor dem Palas stand Magdalena in der Tür und schöpfte Atem. Sie sah müde aus. Doch wer war das nicht? Niemand von den Leuten hier hatte in den letzten zwei Tagen auch nur ein Auge zugetan.
„Wie geht es Gernot? Kann ich ihn sprechen?“, fragte sie die Zofe.
Diese nickte zustimmend.
Der Saal hatte sich in den vergangenen Stunden stark verändert. Dort wo sonst Tische und Bänke standen, waren jetzt etwa ein Dutzend Krankenlager aufgebaut, zwischen denen Mägde und Ehefrauen sich zu schaffen machten. Manche kauerten nur stumm da und hielten den Verletzten die Hand, andere unterhielten sich leise oder wuschen den Männern die Stirn mit kühlendem Wasser. Besonders hart schien es den Mundschenk erwischt zu haben. Er wälzte sich im Fieber auf seinem Lager, während seine Frau mit Alwinas Hilfe versuchte, ihm die Waden in feuchte Tücher zu wickeln.
Ritter Gernot lag mit offenen Augen, die klar und munter blickten. Er lächelte erfreut, als er Adelheid an seinem Lager erkannte. Offenbar fühlte er keine Schmerzen, was mit Sicherheit auf Magdalenas Kräutersud zurückzuführen war.
„Wie geht es Euch?“ Mit diesen Worten setzte sich Adelheid zu seiner Seite.
„Nun – es wird besser, seit Eure Zofe mich unter Ihren Händen hatte. Sie ist wirklich eine kleine Hexe.“ Er zwinkerte ihr zu.
Adelheid fiel wieder ein, dass auch sie Magdalena vor Godhart eine Hexe genannt hatte. Doch ihrer Zofe schien das nichts aus zu machen. Wo war die Grenze zwischen Kräuterweib und Hexe?
„Nun – dann steht sie Euch in nichts nach! Immerhin könnt Ihr Pferde erlahmen lassen und gleich wieder heilen!“
Der Ritter blickte einen Moment verständnislos, dann grinste er schelmisch und schwieg.
„Gernot – ich bin hier, um von Euch Auskunft zu erbitten: Was ist geschehen im Helbetal? Berichtet, ohne mich zu schonen! Das Liebste habe ich bereits verloren, es kann nicht bitterer werden.“
Der Ausdruck in seinen Augen wurde sehr ernst und er nickte. „Ich weiß, hohe Frau. Wir haben beide das Liebste verloren. Und es war so sinnlos …“
Einen Moment trübten sich seine Augen und Adelheid befürchtete schon, er werde wieder ohnmächtig, aber er fing sich schnell und begann zu erzählen:
„Wir waren auf dem Rückweg, zwar geschlagen, doch hatten wir geringe Verluste. An das Vieh heranzukommen, war unmöglich, sie halten es hinter den Stadtmauern. Als wir über den See im Feuergrund gesetzt hatten, fielen sie aus dem Wald heraus über uns her. Sie waren leicht in der Überzahl, aber es war wohl vor allem die Überraschung, die uns zunächst kopflos werden ließ. Doch nach kurzem Gefecht hatten wir uns wieder im Griff und hätten sie vielleicht sogar geschlagen, wenn nicht …“ Er stockte und bat um einen Schluck Wasser. Offensichtlich fiel ihm das Weiterreden schwer.
„Bitte Gernot, sprecht weiter, was geschah dann?“ Adelheid spürte seine Beklemmung, aber sie musste alles wissen.
„Der Ritter Dietmar … er floh mit seinem Gefolge. Er riss sein Pferd herum und galoppierte voller Panik in den Wald hinein. Seine Vasallen folgten ihm sofort. Mein Graf – Euer Vater – schrie ihm etwas nach. Er war entsetzt über diese Flucht und einen Moment unaufmerksam. Wir alle waren es … Da traf ihn der Speer des Mülhusers.“
Adelheid stöhnte auf und schloss die Augen. Ihre Fingernägel gruben sich in das Holz des einfachen Hockers, auf dem sie saß. Ritter Gernot sprach weiter, obwohl ihm seine Stimme schon längst nicht mehr gehorchte.
„Es ging alles so schnell und doch sehe ich es immer wieder ganz langsam vor meinen Augen ablaufen. Er hatte diesen erstaunten Ausdruck in den Augen, dann fiel er vom Pferd. Er war sofort tot. Und wir saßen alle auf unseren Rössern – wie gelähmt. Wir hätten es
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