Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
bekam wie noch nie. Wenn sie die Tiere schlachten mussten, weil kein Futter da war, dann sollten sie wenigstens fett sein. Doch was, wenn auch das Fleisch und die Räucherware nicht über den Winter reichten?
Der September zog ins Land und es regnete noch immer. Äpfel und Birnen waren schon an den Bäumen schwarz vor Fäulnis und sollten auch keine Bereicherung der Nahrung werden.
Die Bauern, die sich auf dem Burghof von Lare eingereiht hatten, um ihre Abgaben zu liefern, diskutierten mit besorgten Gesichtern über das Wetter. Sie standen eingehüllt in ihre wollenen Mäntel, aus denen das Regenwasser troff. Die weiten Kapuzen auf ihren Köpfen ließen sie aussehen wie eine Gruppe pilgernder Bettelmönche. Die Fußlappen waren längst vom Schlamm durchweicht. Nur wenige Karren mit Getreide- oder Mehlsäcken rollten an diesem Zehnttag auf den Hof, die meisten Abhängigen brachten Vieh, weil sie dies am ehesten entbehren konnten. Nun hofften sie auf eine mild gestimmte Herrin, denn eigentlich hatten sie auch einen Teil Frucht abzugeben. Schließlich mussten die großen burgeigenen Herden ebenfalls über den Winter gebracht werden.
Vor dem Lagerhaus der Vorburg, unter einem Bretterverschlag, der das Wasser nur notdürftig abhielt, saß Adelheid, die von ihren Untergebenen im Stillen „die Gräfin“ genannt wurde. Sie trug selbst auf einer Pergamentrolle ein, welcher Bauer welche Abgabe geleistet hatte. Ein dunkles Gebände rahmte ihr schmales Gesicht, um dessen Mund der Kummer trotz ihrer Jugend bereits feine Linien eingegraben hatte. Die hohe Frau trug einen dunklen Rock aus feiner Wolle, der zum Teil von einer schwarzen Trauersuckenie verdeckt wurde. Seitdem ihr Bruder Ludwig zu Maria Himmelfahrt vor mehr als einem Jahr an einem schweren Fieber gestorben war, hatte sie niemand mehr ohne dieses Kleidungsstück gesehen.
Gerade musterte sie ein hochbeiniges Schwein, das ein hagerer weißblonder Mann am Strick hinter sich her zog. „Ein kräftiges Tier, Burghart! Doch wo sind die Säcke Dinkel, die du bringen musst, jedes Jahr im September?“
Der Bauer verneigte sich tief und antwortete mit sorgenvollem Blick: „Gern bringe ich Euch noch eins von diesen prächtigen Schweinen, edle Gräfin! Doch habe ich selbst nicht ein Korn Dinkel auf der Schütte, froh wär ich, bekäm ich einen Scheffel zusammen, um meine Frau für die Kinder ein Brot backen zu lassen.“
Die Gräfin musterte ihn nachdenklich mit schwermütigen Augen, seufzte dann und machte mit ihrer Gänsefeder einen Haken hinter den Namen des Mannes. Mit einer müden Kopfbewegung forderte sie den nächsten Bauern auf.
An der Zugbrücke tuschelten zwei Bauernweiber miteinander. Sie trugen Wolle in ihren Kiepen, bereits versponnen und zu dicken Knäueln aufgewickelt.
„Sieh nur, wie schlecht unsere Herrin aussieht!“, flüsterte die Kleinere der beiden Frauen, deren Wangen von dem steilen Aufstieg zur Burg leuchteten wie zwei reife Äpfel.
„Kein Wunder bei dem, was sie alles durchmachen musste. Erst der Vater gefallen, dann der Ehegemahl verunglückt und zu guter Letzt stirbt auch noch Graf Ludwig! Ein Jammer ist es um diesen tüchtigen jungen Herrn! Nun steht die arme Frau ganz allein da!“
Die andere war älter und von hagerer Figur. Graues Haar stachelte unter ihrer groben Kapuze aus Schafwolle hervor. Ihre Nase war rot vor Kälte und tropfte beständig. „Wahrlich, er war ein würdiger Nachfolger für unseren Graf Beringer – Gott bewahre seine Seele! Den Ehemann brauchst du nicht zu erwähnen, um den trauert sie gewiss nicht.“
Entrüstung spiegelte sich in ihrem Gesicht und ihre Stimme sank zu einem Flüstern. „Meiner Tochter Mann ist ein Straußberger. Der sagt, der Ritter soll sie gar schlecht behandelt haben!“ Sie schniefte und zerrte ihren Tragekorb in der Reihe ein Stück nach vorn.
„Pah! Das weiß doch jeder! Hat er nicht auch unseren Herrn schmählich verraten drunten im Helbetal? Trotzdem könnte sie sich wieder einen Mann suchen, sie ist doch noch viel zu jung für so ein einsames Leben als Witwe!“ Die Hagere hatte ihre Kiepe abgesetzt und straffte die krummen Schultern.
„Der junge Ritter Johannes vom Straußberg, dem sie die Burg überlassen hat, der wäre doch eine gute Partie“, mutmaßte die Rotwangige und wischte ihre Nase am Ärmel ab.
„Vielleicht hat sie genug von denen vom Straußberg? Außerdem soll der Ritter bereits ein Auge auf ihre Zofe geworfen haben“, flüsterte die Grauhaarige.
Die Kleinere
Weitere Kostenlose Bücher