Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
bekreuzigte sich rasch, sah sich nach allen Seiten um und zischte mit aufgerissenen Augen: „Du meinst auf die – Hexe?“
„Schscht! Sei still jetzt, wir sind gleich dran. Willst du, dass die Herrin dich hört? Die Zunge wird sie dir herausschneiden lassen!“
Am Abend hatte Adelheid zehn Schweine, darunter zwei Läufer, etwa ein Dutzend Schafe, drei Kälber, vier Schock Eier, drei Dutzend Hühner, zehn Gänse und zwei Dutzend Gössel sowie etliche Maß Schafwolle – teils versponnen, teils roh – aufgenommen. Kein einziger Sack Mehl, nur ein paar Scheffel Hirse waren gebracht worden. Robert, der älteste Sohn vom Stallknecht Hannes kratzte sich sorgenvoll seinen weißblonden Haarschopf. Er war Adelheid im vergangenen Jahr aufgefallen, als er einige Male mit äußerst klugen und umsichtigen Ratschlägen zu ihr kam. Sie hatte ihn kurzerhand als Verwalter bestellt, und der junge Mann hatte sich schnell und geschickt in seine neue Aufgabe eingearbeitet.
„Womit sollen wir das Vieh füttern, welches die Bauern uns bringen? Wir brauchen dringend Getreide!“
„Haben wir keinerlei Vorräte aus dem vorigen Jahr?“, fragte Adelheid ohne sonderliches Interesse in der Stimme. Robert kannte diesen Tonfall, sie fragte nur aus Pflichtbewusstsein, nicht, weil sie es wirklich wissen wollte. Von ihm erwartete sie, dass er das Problem irgendwie löste, ohne sie damit zu belästigen. Er seufzte entmutigt. Wenn sie doch nur endlich aus ihrer Lethargie erwachen würde!
„Ja schon, einige Metzen Roggen sind noch vorhanden, aber die Braugerste …“
„Dann ist es doch gut, wir müssen nur sparsam damit umgehen! Und wenn kein Bier gebraut wird, trinken wir Wein“, antwortete seine Herrin schon halb im Fortgehen begriffen.
„Aber wir haben jetzt noch mehr Vieh! Wie sollen wir dann sparen?“ Verzweifelt hob Robert seine Hände. Wollte sie denn nicht verstehen?
„Lass dir was einfallen, du bist doch ein schlauer Kopf! Vielleicht kannst du irgendwo Frucht kaufen oder gegen Vieh tauschen?“ Sie lächelte ihm mit müden Augen zu und ging über den Hof zum Palas.
An der Treppe standen auch heute wieder einige Bauern, die eine Gelegenheit suchten, der Gräfin ihre Sorgen und Ansinnen vorzutragen. Sie musterte die Leute seufzend und bat sie in den Saal. Dort legte sie ihren durchnässten Mantel ab und trat an den Kamin, um ihre durchgefrorenen Glieder zu wärmen. Mit den knisternden Flammen im Rücken fühlte sie sich gleich etwas besser.
„Nun“, wandte sie sich an die Männer, die geduldig gewartet hatten, „wer möchte als erster sprechen?“
Die Bauern sahen sich unschlüssig an, schließlich trat ein grobschlächtiger älterer Mann vor, der trotz seines schneeweißen Haares noch einen rüstigen Eindruck machte. Adelheid erkannte in ihm Nibor, den Dorfältesten von Gebra.
Er verbeugte sich tief und sprach dann mit bedächtiger Stimme: „Hohe Frau Adelheid, es gibt Streit in unserem Dorf um Euer mildtätiges Geschenk. Vor zwei Sommern habt Ihr Dank versprochen für unsere Hilfe gegen die Mülhuser. Wir erhielten eine Urkunde von Eurem seligen Bruder, dem Grafen Ludwig, nach der das Waldstück auf dem Bergrücken über dem Dorf uns gehören soll.“ Sein Blick flackerte unsicher über ihr starres Gesicht, wusste doch jedermann, wie wenig die Gräfin den Tod ihres Bruders verschmerzt hatte. Eilig redete er weiter. „Nun sind Stimmen laut geworden, vorwiegend von denen, die im Kampf ihr Leben einsetzten, dass der Wald ausschließlich unter ihnen aufgeteilt werden möge, damit sie ihn nutzen können, wie es ihnen dünkt.“
„So soll es nicht sein!“, antwortete die Gräfin sofort mit scharfer Stimme. „Unser Dank galt dem ganzen Dorf, denn alle brachten an diesem unglücklichen Tag Opfer für Lare. Haben nicht die Zurückgebliebenen die Herden der Kämpfer gehütet und für den Schutz des Dorfes gesorgt? Geh nach Hause und verkünde ihnen meine Entscheidung: Der Wald soll allen gehören und gemeinsam genutzt werden!“
Der Dorfälteste verneigte sich erneut, ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen. Er murmelte ein paar Segensworte zum Abschied und wandte sich dem Ausgang zu.
„Wer ist der Nächste?“
Aus der Gruppe von fünf Bauern löste sich einer, der offenbar der Jüngste von ihnen war. Sie konnte sich nicht erinnern, ihn schon einmal gesehen zu haben. Er hatte hellwache graue Augen und sein voller Mund schien immer zu lächeln. Sein freundliches und offenes Gesicht wurde von schulterlangem
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