Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
vier Kinder geboren hatte und wieder schwanger ging, griff nachdenklich nach einer frischen Anemonenwurzel und säuberte sie vorsichtig. „Wie lange soll das noch so weitergehen? Die Herrin magert vollends ab, wenn sie nicht isst!“
„Ich weiß.“ Magdalena klemmte sich eine störrische schwarze Locke hinters Ohr. „Aber was soll ich tun? Sie hört nicht auf meine Ratschläge. Sie ist so verbittert, dass ihr Herz allmählich zu Stein wird.“ Der letzte Satz klang unwiderruflich und der rothaarigen Anna lief eine Gänsehaut über den Rücken. Hastig schlug sie ein Kreuz über Stirn und Brust.
„Wie meinst du das? Ist sie etwa verflucht?“ Unter dem Gesinde herrschte nach wie vor die Meinung, dass die Zofe der Herrin mit Zauberei und dunklen Künsten zu tun haben könnte.
„Ich weiß es nicht, Anna.“ Magdalena neigte wage ihren Kopf, was sowohl Zustimmung als auch Ablehnung bedeuten konnte. „Manchmal glaube ich, ihr Bruder hat etwas von ihr mit ins Grab genommen. Wenn sie jemanden findet, den sie so sehr liebt wie ihn, kann sie es zurückerhalten.“
„Ja“, Anna lachte zynisch auf, „mit Liebe kann viel gelingen. Doch wie soll sie Liebe finden, wenn sie sich den ganzen Tag hier auf der Burg vergräbt? Das Land verkommt, niemand ist da, der ein Machtwort spricht gegen Raub und Gewalt. Was wir brauchen, ist eine starke Männerhand.“
Magdalena antwortete nicht, sondern zuckte nur mit den Schultern und griff nach der nächsten Wurzel.
G enau wie der Herbst, kam auch der Winter in diesem unseligen Jahr viel zu früh. Bereits Anfang Oktober fiel reichlich Schnee, der zwar nicht liegen blieb, aber für nasskaltes Wetter sorgte. Die Wege waren morastig und teilweise unpassierbar, eine Grippewelle zog über das Land und schnappte dem Hungertod schon vorzeitig viele Opfer weg.
Adelheid hatte auf den Rat von Johannes hin nach dem letzten Zehnttag die Vasallen, die ihren Dienst in Schierenberg unzureichend und nachlässig versehen hatten, öffentlich auspeitschen lassen und den Bauern zuverlässigere Waffenknechte geschickt. Damit glaubte sie, ihre Pflicht getan zu haben.
Zu Allerseelen kurz nach der Prim läutete die Sturmglocke und der Torwächter meldete eine große Gruppe von Menschen im Anmarsch auf das Haupttor. Adelheid, in Mantel und Kapuze gehüllt, kletterte auf die Mauerkrone und erkannte zu ihrem Entsetzen die Schierenberger. Sie waren halb erfroren und sahen verzweifelt und erschöpft aus, einige mussten gestützt, andere gar getragen werden. In der Mitte des Trosses erblickte sie Frauen und Kinder, die einige wenige magere Rinder hinter sich her zerrten. Von den bewaffneten Knechten konnte sie niemanden sehen. Auf ihren Befehl hin wurde das Tor geöffnet und bald trottete ein trauriger Zug von armseligen Gestalten auf das Gelände der Vorburg. Unter denen, die gestützt werden mussten, war auch Andreas. Aus einer klaffenden Wunde auf der Stirn lief ihm das Blut in die Augen.
Adelheid ließ die Verletzten in den Saal bringen, wo sie sofort von Magdalena versorgt wurden. Die anderen, die offensichtlich mit dem Schrecken davon gekommen waren, wurden in einer der fast leer stehenden Scheunen untergebracht. Von ihnen erfuhr Adelheid, was geschehen war. Eine gut organisierte und bewaffnete Räuberbande hatte das Dorf weit vorm Morgengrauen angegriffen. Zwei der Bewaffneten waren an der Grippe erkrankt und lagen mit hohem Fieber auf ihren Strohsäcken, die anderen waren schnell überwältigt. Die Raubgesellen hatten es auf die Herden abgesehen. Alles, was Widerstand leistete, wurde niedergemacht, dann trieben sie das Vieh aus dem Dorf, schnitten den beiden kranken Söldnern die Kehle durch und verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. In der noch herrschenden Dunkelheit wagte niemand, sie zu verfolgen.
Niedergeschlagen ging Adelheid zum Palas, sie grübelte darüber nach, ob sie etwas falsch gemacht hatte. Hätte sie mit mehr Bewaffneten im Dorf den Überfall verhindern können? Was hätte ihr Vater getan? Und Ludwig? Sie konnte es nicht sagen.
Die Szenerie im Saal erinnerte sie an die Tage nach dem Kampf im Helbetal. Auf den Bänken lagen stöhnende Verwundete, saßen Frauen bei ihren Männern und wuschen ihnen die Wunden oder legten Verbände an. Eine ältere Frau hielt ein halbwüchsiges Mädchen fest umschlungen auf dem Schoß und wiegte es wie einen Säugling. Adelheid fühlte zwei wachsame helle Augen auf sich ruhen, sie fand den Blick von Andreas, der vor dem Kamin auf der Bank
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