Adieu, Sir Merivel
zehn oder noch mehr, alle trugen Uniform und schnallten ihre Schwerter an, als sie von Bord gingen. Ich hatte keine Ahnung, welchem Regiment sie angehörten, doch das dunkle Blau ihrer Röcke ließ mich an die Schweizer Garden denken.
Jeden Augenblick, dachte ich, wird Oberst Jacques-Adolphe zwischen ihnen auftauchen, und er wird auf mich losstürmen und versuchen, mir die Augen mit dem runden Ende eines Billardqueues auszustechen, und dann ist alles zu Ende.
Die Soldaten marschierten an uns vorbei, und keine hochgewachsene Giraffe kam in Sicht. Aber in der plötzlichen Nachmittagskühle hatte ich zu zittern begonnen, und ich sagte zu Louise: »Wir leben so, als wäre dein Ehemann tot und würde nie kommen, um dich zurück nach Paris zu holen. Doch eines Tages wird er kommen.«
Louise schwieg. Sie berührte meine Wange, die zweifellos blass geworden war. »Solange er in Petrov vernarrt ist, wird er nicht kommen.«
»Und wenn das vorbei ist?«
»Er glaubt, dass es nie vorbei sein wird.«
»Wird er denn nicht zu Weihnachten erscheinen?«
»Nein. Diese Jahreszeit ist ihm verhasst. Er erträgt keinerlei Vorstellungen von Geburt.«
An den Abenden begaben wir uns, nach einem stets exzellenten Nachtmahl, das von einem der zwei Köche des Barons (beide, anders als mein armer Cattlebury, wohlgesittete Männer) zubereitet wurde, häufig in den grand salon , um Louise zu lauschen, die uns auf dem Cembalo vorspielte.
Sie wusste sehr schön zu spielen und zu singen. Und wenn ich ihr zuhörte, konnte ich nicht umhin, an jene längst vergangenen Abende auf Bidnold zu denken, als Celia für mich gesungen und der Wahn, ich sei in sie verliebt, in mir mit so katastrophalen Folgen Platz gegriffen hatte.
Und ich fragte mich, was ich denn – zwischen dem Klang jener Frauenstimme damals und dem Klang einer anderen, sechzehn Jahre später – eigentlich in der Welt erreicht hatte. Und alles, was ich antworten konnte, war, dass ich durchgehalten hatte . Und dieses Durchhaltevermögen hatte mich hierher gebracht, in ein schönes Château in der Schweiz und in das Bett einer klugen Frau. Und das schien mir Glücks genug zu sein.
Louise spielte nicht nur Cembalo, sie komponierte auch. Pfeilgerade flog ihr Geist, offenbar ohne dass er auf Hindernisse traf, direkt ins mathematische Herz des Komponierens. Ihre Notenschrift war flüssig und gewandt. Melodien, die sie im Geiste hörte, konnte sie mühelos mit bewegenden Harmonien unterlegen. Bestimmte Bassakkorde von ihr brachten – in ihrer überraschenden Brillanz – selbst die unaufmerksamsten Zuhörer zurück ins Reich der Wunder.
Einige dieser Zuhörer waren Männer und Frauen mit weit größerer musikalischer Kenntnis, als ich sie besaß. Der Baron lud an Freitagen gern zu einer Soirée, und auf diese Weise lernte ich einige Personen der Neuchâteler Gesellschaft kennen, zu der auch Künstler und Sänger gehörten.
Von Letzteren fühlte ich mich nun unwiderstehlich angezogen. Ihr großes Volumen, ob an Brustkorb oder an Busen, zusammen mit dem hallenden Timbre ihrer Stimmen, empfand ich als eine eigenartig sexuelle Provokation. Dass die Männer, nicht weniger als die Frauen, die Angewohnheit hatten, einander zu umarmen, weckte in mir die Sehnsucht, ebenso umarmt zu werden. Und ein Schweizer Bariton namens Marc-André Broussel drückte mich dann auch, als könnte er Gedanken lesen, bei unserer zweiten Begegnung bestimmt zehn Sekunden lang an seinen mächtigen Leib und presste einen wollüstigen Kuss auf meine Lippen.
Dieser Sänger sprach fünf Sprachen, kannte London und hatte für den Herzog von York gesungen. Als er erfuhr, dass ich ein Vertrauter des Königs war, wünschte er alle Einzelheiten meines Lebens zu erfahren. Und da mir sein Interesse und sein Moschusduft gefielen, erzählte ich ihm die Geschichte, wie der König mich als Gegenleistung dafür, dass ich ein professioneller Hahnrei wurde, mit Land und Titeln belohnt und wie ich meinen Pakt mit ihm gebrochen hatte. »Leider«, erklärte ich Broussel, »tat ich das Einzige, was mir verboten war. Ich versuchte, mich meiner angetrauten Gemahlin wie ein rechtmäßiger Gatte zu nähern. Darum wurde ich verstoßen und in die Wildnis geschickt.«
»In welche Wildnis? Wohin?«, frage Broussel und packte mich am Ärmel.
»Nun«, erwiderte ich, »allein die englischen Quäker glauben, sie lebten jenseits des großen Schattens, den Whitehall wirft. Also ging ich zu ihnen, um zusammen mit meinem einzigen Freund in der Welt,
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