Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
Vom Netzwerk:
so etwas wie eine Würdigung von Gerechtigkeit beobachtet. Denn war es nicht so gewesen, dass Clarendon an dem Tag, als ich ihn aus seinem Käfig führte, damit er seine von Eis und Schnee verkrampften armen Gliedmaßen frei bewegen konnte, mir sehr sanftmütig gefolgt war, als verstünde er vollkommen meine guten Absichten ihm gegenüber?
    Er hätte mich zerfleischen können, weil ich ihn so lange in den Käfig gepfercht hatte, doch er tat es nicht. Es war, als hätte er meinen Kummer über das, was in jener Zeit heftiger Schneefälle geschehen war, bemerkt und begriffen, dass ich mein Bestes tat, um es wiedergutzumachen.
    Obgleich ich wusste, dass der Weg zu meinem Traktat (den ich versuchsweise Betrachtungen über die Tierseele von Sir R. Merivel betitelte) sehr langwierig sein würde, erlaubte ich mir, schon einige erste Notizen zu machen, und dieses Gefühl eines tatsächlichen Anfangs erfreute mein Herz so sehr, dass ich nicht umhinkonnte, zur Feder zu greifen und Margaret zu schreiben, weil ich ihr unbedingt erzählen wollte, wie wertvoll sich ihr Rat für mich erwiesen hatte und dass ich mich nun einem neuen Studienfeld zuwenden würde, »das meinen Geist wahrhaftig beruhigt und mich alle Melancholie hat abschütteln lassen«.
    Ich erzählte meiner Tochter nicht, dass es noch ein zweites »Studienfeld« gab, in welchem ich lernte, Louise ein wunderbarer Liebhaber zu werden. Und diese études nahmen tatsächlich einen Großteil jeder, wirklich jeder Nacht ein; und Louise, als eine Frau unabhängigen Geistes, zögerte nicht, mich zu lehren und Teile meines Körpers exakt dorthin zu praktizieren, wo sie sie zu haben wünschte, und begleitete all unsere Übungen nur zu gern mit erotischen Kommentaren.
    Diese Nächte schenkten mir immer neue sexuelle Befriedigung, erschöpften mich aber auch einigermaßen, wohingegen Louise aufzublühen schien. Und während der Herbstlangsam vorüberging, beobachtete ich an ihr, trotz ihres großen Schlafmangels, die Entfaltung einer strotzenden Gesundheit – sie wirkte jetzt jünger als damals in Versailles, als ich sie kennenlernte.
    Wir sprachen nicht von Liebe. Ich schien nicht in der Lage zu sein, das Wort auszusprechen. Dennoch wusste ich, dass es dies war, was sie sehnlichst von mir zu hören hoffte – dass ich sie liebte. Und in gewissem Maße traf es auch zu, dass ich sie liebte. Doch was ich noch mehr liebte, war mein neues Selbstbewusstsein als ein Mensch, der sich sehr ernsthaft einem großen Werk widmete. Denn ich erkannte, dass ich mich zum ersten Mal in meinem Leben an etwas wagte, was bei den beiden Männern, denen ich so lange hatte gefallen wollen, Anerkennung finden würde: bei Pearce und dem König.
    Ich stellte mir vor, wie Pearce meine Betrachtungen las, wie er den Traktat Stunde um Stunde dicht vor sein Gesicht hielt, ihn schließlich weglegte und sagte: »Bewunderungswürdig tiefgreifend, Merivel. Du hast mir viel zum Nachdenken geschenkt. Endlich einmal hast du dich auf ein Thema konzentriert, das deiner Zeit würdig ist.«
    Und was König Charles anbelangt, so sah ich ihn in herzliches Lachen ausbrechen, sich auf die Schenkel klopfen und sagen: »Tierseelen! Was für eine herrliche Idee. Auf mein Wort, mein lieber Narr, an diesem meisterlichen Werk erkenne ich, dass du dich endlich unter die Weisen eingereiht hast und unverzüglich ein Mitglied der Royal Society werden musst! Lass uns darauf einen Krug Met trinken.«
    Die Szenen, die ich mir da vorstellte, schenkten mir unendliche Freude.
    Wenn die Nachmittage schön waren, pflegten Louise und ich auf den verschlungenen Wegen des Landguts zum See hinunterzuwandern und zuzusehen, wie die Segelboote darüber hinweg glitten und die Wasservögel am Ufer entlangwatetenoder ins Wasser tauchten. Und dieses Seepanorama – mit seinen sanft abfallenden Hügeln und dem Band aus Tannen an ihrem Saum, den hier und da wie hingetupften adretten Holzhäusern mit ihren blauen Rauchfahnen über den Schornsteinen – wurde mir bald mindestens ebenso lieb wie manch andere Landschaft, die ich in meinem Leben schon erblickt hatte, so anmutig war sie in ihrer stillen Friedlichkeit.
    Nur einmal, als Louise und ich an einem Nachmittag, der schön begonnen, sich aber bald grau verdunkelt hatte, dort unten allein waren, wurde diese Stille gestört.
    Wir standen Hand in Hand am Ufersaum, und ein großes Schiff segelte in unsere Richtung und machte am nahe gelegenen Steg fest. Dem Schiff entstieg eine Gruppe Soldaten – acht oder

Weitere Kostenlose Bücher